: Wüstling voller Magie
Verletzungspech zum Abschluss des Jubel-Jahres: Don Giovanni musste wegen eines Bänderrisses im Sitzen singen. Dennoch glückte die Mozart-Oper am Essener Aalto-Theater – ein gelungener Abend
VON REGINE MÜLLER
Nun ist es vorbei, das Mozart-Jahr. Medialer Rummel, schiere Masse und der Ehrgeiz zur Vollständigkeit und lückenlosen Ausleuchtung des Werks haben wenig Neues zutage gefördert. Selbst der Aufführungsstatistik konnte das Jubeljahr nichts anhaben. Der Spitzenreiter der Mozartopern bleibt die Oper aller Opern um den gottlosen Frauenhelden „Don Giovanni“.
Just damit bereitete das Essener Aalto-Theater den Festivitäten ein furioses Finale, exakt an des Wolferls 251. Geburtstag. Ein cleverer Schachzug, hatten sich die Essener doch das ganze Jahr über geradezu aufreizend zurückgehalten in Sachen Mozart. Doch nun liefert die vom Publikum kontrovers aufgenommene Deutung von Stefan Herheim sicher einen der stärksten Beiträge zum Gedenkjahr und unterstreicht damit wieder den Rang des schon jetzt Kulturhauptstadt-reifen Musentempels.
Dabei klang die erste Nachricht des Premierenabends eher nach Super-Gau und Rache des Regietheaters am Sänger als nach Sensation. „Don Giovanni“ Diogenes Randes hatte sich bei den Endproben einen Bänderriss zugezogen und konnte nicht spielen. Die Stimme freilich war intakt und so musste Randes am rechten Bühnenrand Platz nehmen und singen, während die Darstellung des Lüstlings niemand Geringeres als Regisseur Stefan Herheim höchstselbst übernahm. Und gerade das erwies sich schnell als Idealfall, als unverhoffter Blick in den Instrumentenkoffer des als Bilderstürmers geltenden Regisseurs. Denn Herheim verlieh dem Wüstling mit magischer Bühnenpräsenz dämonisches, schillerndes Leben, irrlichterte athletisch über die Bühne und schien überall zugleich zu sein. Weit mehr als bloß notorischer Weiberheld ist dieser Don Giovanni ein rabiater Aufklärer mit nervösem, gleichwohl unwiderstehlichem Sex-Appeal.
Diesem mussten sich im Publikum letztlich auch die ergeben, die sich provoziert fühlten und dies bisweilen lautstark äußerten. Man witterte mal wieder Blasphemie in der Bischofsstadt Essen, die doch durch Regie- Dauergast Dietrich Hilsdorf diesbezüglich einiges gewohnt sein dürfte. Stein des Anstoßes war bereits, die ganze Handlung in einer Kirche anzusiedeln. Ausstatter Thomas Schuster hat einen barocken Raum gebaut, der sich mittels Drehbühne und beweglichen Säulen ständig verwandelt. Das sakrale Zubehör wird munter zweckentfremdet: der Altar wird zur Festtafel, in den Beichtstühlen raschelt es lüstern, der Messkelch wird zum Champagner-Pokal, die Mitra zur Narrenkappe, die Bibel zum Weiber-Register und im Taufbecken verröchelt der Komtur. Heiligenstatuen erweisen sich als lebende Bilder und greifen ins Geschehen ein. „Donna Elvira“ (Bea Robein) schält sich aus dem blauen Mantel der Himmelskönigin Maria und „Don Giovanni“ selbst springt zu Beginn aus einem „Johannes der Täufer“ -Gemälde heraus, das korrekt mit dem Schriftzug „San Giovanni“ beschriftet ist. Doch alsbald blinkt unter dem „San“ ein „Don“ hervor und schon beginnt das rasende, wirbelnde Spiel.
Herheims Ideen-Quell sprudelt unablässig und überschlägt sich fast vor lauter Assoziationen, Bezügen und kunsthistorischen Verweisen. Wenn der Abend ein Problem hat, dann ist es höchstens sein Zu viel an Thesen und starken Bildern.Dirigent und Intendant Stefan Soltesz peitscht das hohe Tempo des Abends im Graben immer weiter und animiert das Orchester zu differenziertem und emphatischem Spiel. Die Sängerriege schlägt sich überdurchschnittlich, angeführt von Diogenes Randes in der Titelpartie, dessen fülliger Bariton vielleicht ein wenig mehr Biss bräuchte. Durchschlagend mit gelegentlichen Schärfen ist Silvana Dussmanns „Donna Anna“, erst allmählich Statur gewinnend Bea Robeins „Donna Elvira“, fulminant das Bauernpaar „Zerlina“ und „Masetto“ (Helen Donath und Marcel Rosca), kraftvoll und wenig lyrisch Andreas Hermanns „Don Ottavio“, solide Almas Svilpas störrischer, sich selbst züchtigender Diener „Leporello“ und von orgelnder Präsenz Stefan Kocáns „Commendatore“. Ovationen, garniert mit Buhs für einen grandiosen Abend.
Di, 06.Februar, 19:30 Uhr, Aalto-Theater, EssenInfos: 0201-8122200