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Dormagen und andere Krankheiten Von Wiglaf Droste

Der Laden hieß „Tankstelle“ und sah auch so aus. Überall im Lokal standen Zapfsäulen und LKW- Reifen herum, sogar ein ganzes Motorrad war an der Wand festgezurrt. Die Typen im Lokal trugen Basecaps, tranken Bier und sahen sich auf einer Großleinwand die Übertragung des „Topspiels der Woche“ auf premiere an, Leverkusen gegen Köln, und obwohl Dormagen komplett von Bayer Leverkusen abhängig ist – 12.000 Leute hier arbeiten bei Bayer –, hielten alle zu Köln, oder vielleicht bissen sie auch nur zu gerne nach Feierabend die Hand, die sie fütterte, symbolisch eben, auf Simulationsbasis, und am Montag zockelten sie dann brav wieder los, um eine Arbeit zu machen, von der ihnen die Haare und das Hirn ausfielen, und jeden zu verprügeln, der an ihrem großartigen Industriestandort Bayer herumsägte.

Ich versuchte, so wenig wie möglich vom Spiel mitzukriegen, trank einen Kaffee und las gerade die Schlagzeile im Kölner Express „Wurst-Millionär: Der Elektriker ist der Mörder“ –, als Franz Dobler reinkam, der Schriftsteller, der „Tollwut“ geschrieben hat, „Bierherz“, Westerngedichte und die Geschichte „Bücher Nylons Rote Lippen“, die fast alles schlägt, was ich an Literatur kenne, und der für seine Kompilationen von „Perlen deutschsprachiger Popmusik“ bei „Trikont“ von sektenbildenden Rechtrechtrechthabern aus dem Konkret-Umfeld als Helfershelfer der Deutschnationalen abgekanzelt wird, als müsse er sich von Leuten, die ihr Kulturleichendasein mit Radikalität verwechseln, irgendetwas erzählen lassen. Wir tranken mehr Kaffee und sahen uns um: Das war also der Laden, in dem wir abends lesen und später Platten auflegen sollten; naja, Kulturschischi und Theaterdonner immerhin war es nicht.

Jorgos, unser Veranstalter und Gastgeber, kam an und erzählte, wie er einmal einen Informationsabend über Bayer organisiert hatte in Dormagen, daß ganze zwölf Leute gekommen waren, die Hälfte davon Bayer-Anwälte, die jedes Wort mitschrieben in der Hoffnung auf Justiziables.

Als wir Hunger bekamen, empfahl uns ein Typ am Tresen eine Pizzeria in der Nähe. Dobler und ich latschten die menschenleere Straße entlang. Am Ortseingangsschild Dormagen-Horrem befand sich das BMW-Haus Huntgeburth, und dann waren es nur noch ein paar Schritte zur „Pizzeria aktiv Da Roberto“, die innendrin auch „activ Bistro“ hieß, weil man hier auch Squash spielen kann oder Federball, beziehungsweise Badminton, wie Angeber zu Federball sagen, und während wir uns setzten und irgendetwas bestellten, das mit Essen nichts zu tun hatte, taten die Leute aus Dormagen das, Squash spielen und Federball, ein paar Meter von unserem Tisch entfernt, und dann setzten sie sich in Turnhose und Turnhemd an den Tresen oder an die Nebentische und gossen riesige isotonische und sonstwie sportive Drinks in sich hinein, während auf der auch hier vorhandenen Großbildleinwand mittlerweile „ran“ lief, brüllend laut, und so saßen wir da, Franz Dobler und ich, unter Dutzenden von Dormägen, die sich selbst verdauten und dabei fröhlich Sport trieben.

Zwei Wochen später traten dann Gerhard Henschel und ich in der „Erlebnis-Buchhandlung im Marktkauf-Einkaufscenter“ in Eisenach an, aber das erzähle ich nächste Woche.

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