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Archiv-Artikel

„Es ist wichtig, dass die Ausstellung sinnlich ist“

Tim Voss, seit Januar 2007 neuer künstlerischer Leiter des Kunstvereins im Hamburger Problemstadtteil Harburg, versucht den Spagat zwischen Theorie und sinnlicher Präsentation. In der aktuellen Ausstellung zum Thema wurde ein „Europaletten-Berg“ installiert

Von PS

taz: Herr Voss, was wollen Sie beim Kunstverein Harburger Bahnhof anders machen als Ihre Vorgänger?

Tim Voss: Meine beiden MitstreiterInnen und ich haben zu Beginn unserer Arbeit festgestellt, dass der Kunstverein kein klares Profil hat. Wir wollten deshalb, nach Jahren schnell wechselnder künstlerischer Leiter, Kontinuität hineinbringen. Das war ein Grund dafür, mit einer Reihe zu beginnen, wir haben sie „Reihe:Ordnung“ genannt. Deren Ausstellungen werden den Themen Arbeit, Liebe, Macht, Sex, Geld, Freizeit und Zukunft gewidmet sein.

Harburg ist ein sozial problematischer Stadtteil. Wie wollen Sie hier moderne Kunst präsentieren?

Natürlich stellt Harburg in puncto Kunstvermittlung eine besondere Herausforderung dar. Denn man kann hier nicht pure Avantgarde präsentieren. Man muss sehr genau hinsehen, wo die Kunstinteressierten hier in Harburg sind und wie man die hierhin lockt. Zwei Drittel der Vernissagebesucher kommen zwar aus der Hamburger Innenstadt, aber das verbleibende Drittel – unsere eigentlichen Vereinsmitglieder – wohnt eben hier und ist eher lokalpatriotisch als Metropolen-orientiert. Dieses Publikum besteht nicht in erster Linie aus Kunstkennern, sondern will sich mit dem Verein identifizieren. Diese Menschen sind unsere ersten Adressaten, und deshalb wollen wir die für uns wichtigen Inhalte auf eine populäre Art an das Publikum herantragen.

Wie denn?

Indem wir nicht nur theoretisieren. Indem wir Schlagworte wählen, mit denen die Leute aus eigenem Erleben etwas anfangen können. Wenn ich etwa in eine Ausstellung mit dem Thema „Liebe“ gehe, habe ich eine gewisse Erwartungshaltung, das Thema ist mir nicht fremd. Außerdem ist wichtig, dass die Ausstellungen sinnlich, plastisch sind. Dass auch derjenige, der mit unseren Texten nichts anfangen kann, die Ausstellung genießt. Zum Beispiel, indem er in den installierten „Europalettenberg“ aus Industriepaletten hineinklettert. Es ist wichtig, dass er die Kunstwerke spielerisch angehen kann. Diese Art der Vermittlung ist die Grundbedingung, um die Leute zu packen.

Gilt das nur für Harburg?

Nein, diese Diskussion ist ja derzeit überall im Gange, weil gerade die – sehr theoretische – Kunstvermittlung der neunziger Jahre in eine Sackgasse geraten ist. Deshalb hat sich ja in den letzten Jahren ein regelrechter Boom an verstellter Sinnlichkeit entwickelt – wie etwa in der Leipziger Schule.

Die aktuelle Schau zum Thema Arbeit: Was soll sie Harburg bringen?

Das Thema haben wir bewusst gesetzt, weil unserer Kuratorenteam – ich als Existenzgründer vom Arbeitsamt unterstützt und meine beiden Kompagnons völlig unentgeltlich – das Bedürfnis hatten, auch unsere eigenen Produktionsbedingungen zu thematisieren. Denn unsere Planungen begannen, als sich die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen entspann. Diese Diskussion ist gerade für unsere Generation wichtig, die sich nur noch über prekäre Beschäftigungsverhältnisse definiert. Ein Schriftzug „Bedingungsloses Grundeinkommen“ sowie ein kurzer Text dazu finden sich in der Ausstellung. Darüber hinaus haben wir bei unseren Planungen geschaut, wie der Begriff der Arbeit hier in Harburg gefüllt wird. Dabei stießen wir auf die Phoenix-Gummi-Werke, die direkt am Bahnhof liegen und in den Siebzigern 20.000 Menschen beschäftigten. Derzeit wird outgesourct, und es riecht nach Stilllegung. Eine Begehung dieses Werks – gemeinsam mit dem Mann, der dort 30 Jahre lang Betriebsrat war – ist Teil unseres Begleitprogramms.

Besichtigungen und Vorträge gab es im Harburger Kunstverein bislang nicht?

Nein. Aber das ist immer auch eine Frage des Budgets. Das Geld für Ausstellungen müssen wir komplett akquirieren. Wir haben gerade begonnen, das systematisch zu tun. Ob die nächste Ausstellung zum Thema „Liebe“ stattfinden kann, ist allerdings noch offen. Interview: PS

Die Ausstellung „Arbeit“ ist bis 1. 4. im Kunstverein Harburger Bahnhof in Hamburg-Harburg zu sehen. Geöffnet Mi–So 14–18 Uhr.