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Archiv-Artikel

Fatales Finale

Wieder scheitert der HSV an sich selbst. Auch Huub Stevens kann nicht verhindern, dass sein Team gegen Hertha BSC in letzter Sekunde verliert

AUS BERLIN MARKUS VÖLKER

Schnell wie ein Kugelblitz war Huub Stevens in den Katakomben verschwunden. Er wollte sicherlich dem Maß an negativer Spannung im Berliner Olympiastadion entgehen. Seit geraumer Zeit gibt es ja eine Maßeinheit für diese tragischen Hamburger Momente: Doll. Schätzungsweise 1.000 Doll entluden sich in der 92. Spielminute unter der Querlatte des HSV-Kastens, bis dahin sorgsam gehütet von Frank Rost; sogar einen Elfmeter hatte er in der ersten Halbzeit gehalten. Doch nun, in allerletzter Sekunde, schlug es bei ihm ein. 1:2. Die Mannschaft von Hertha BSC tanzte Derwischen gleich über das Feld. Die Hamburger waren indes geplättet.

Versemmelte Chance

Abermals mussten sie einen schicksalsschweren Schlag hinnehmen. Wieder hatten sie tragisch verloren. Die Pechsträhne hält so dauerhaft, als wäre sie aus Eisendraht gewunden. Obwohl ein neuer Trainer auf der Bank saß, erinnerte das Geschehen doch sehr an die Ära Doll. Nah dran war der Hamburger SV am Punktgewinn auf fremdem Platz. Der Tabellenletzte schickte sich sogar an, drei Punkte aus Berlin zu entführen, aber wieder war’s ein Doll’scher Moment, der die unglückliche Elf Mitte der zweiten Halbzeit plagte. Frei vorm Tor, schoss Juan Pablo Sorin Hertha-Keeper Christian Fiedler an, der Ball prallte zurück, Joris Mathijsen hätte jetzt locker einschießen können. Doch er peilte genau seinen Mitspieler Buabacar Sanogo an. Das Dollometer schlug bei dieser selbstdestruktiven Szene in wilden Amplituden aus. Gefühlter Wert: 950 Doll. Meist zitierte Fußballweisheit zu dieser versemmelten Chance: Erst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu. Der HSV scheint derzeit seine Spiele nur auf diesem Allgemeinplatz der Fußballhistorie auszurichten.

Huub Stevens konnte in seinem ersten HSV-Spiel daran nichts ändern. Er hatte ja auch kaum Zeit zur Einflussnahme gehabt. „Du hast den Jungs nur beim Abendessen die Hand gegeben“, erklärte der Holländer, „da ist es natürlich schwierig, die Unterstützung zu geben.“ Trainer und Mannschaft waren erstmals in einem Berliner Hotel zusammengetroffen. Stevens hatte sich nach kurzem Zögern doch noch entschieden, in Berlin auf der Bank zu sitzen. So sah er aus nächster Nähe die Schlappe eines gebeutelten Teams, einer Elf, die vor allem in der ersten Halbzeit gar nicht schlecht spielte und auch in der Schlussphase forscher als die Heimmannschaft zu Werke ging. Aus dem fatalen Sog der Ereignisse kam sie trotzdem nicht heraus.

Man konnte Stevens ansehen, dass er daraus kein Drama machte. Recht aufgeräumt erschien der ehemalige Hertha-Trainer auf der Pressekonferenz, scherzte sogar mit dem Berliner Pressesprecher Hans-Georg „Hansi“ Felder und sagte dann recht abgeklärt: „Da sieht man, was passieren kann in der allerletzten Sekunde“, um nun die Parole für die kommenden Tage auszugeben: „Wir müssen weiter.“ Haargenau den gleichen Satz gab Mittelfeldakteur Rafael van der Vaart zum Besten, der wesentlich angeschlagener wirkte als Stevens – wie auch Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer: „So eine Serie habe ich auch noch nie mitgemacht. In einer guten Serie macht man den Sack zu, in einer schlechten Phase halt nicht“, sagte er. Stevens gab im Gegensatz dazu zu bedenken, dass es mit dem Pech so eine Sache sei.

Vom Opfer zum Täter

Hätte seine Elf den finalen Schuss des Brasilianers Mineiro, der einen formidablen Einstand im Dress der Berliner feierte, verhindert, dann hätte es auch kein Gegentor gegeben, gab Stevens mit bestechender Logik preis. Pech ist also relativ, sich nur darauf zu kaprizieren, macht wenig Sinn. Huub Stevens ist offenbar gewillt, der Hamburger Opfermentalität ein Ende zu bereiten und wieder Spiele zu gewinnen, am kommenden Wochenende zum Beispiel die Partie gegen Borussia Dortmund.

Ein Sieg wäre bitter nötig, denn vier Punkte sind es nun schon, die den bislang noch nie in der Bundesliga-Geschichte abgestiegenen Klub vom rettenden Platz 15 trennen. Oder anders gesagt: Stevens muss das Dollometer verschrotten und eine neue Maßeinheit in Hamburg etablieren. Die Fortschritte des Hamburger SV sollten künftig in Huubraum angegeben werden.