Im verflixten siebten Trockenjahr

AUS GOULBURN URS WÄLTERLIN

Kürzlich war sogar John Howard bei Dennis Byrnes zu Besuch. Der australische Premier tauschte Nadelstreifen gegen Hut und Stiefel und fuhr in der klimatisierten Limousine auf der Wood-Park-Farm vor, wo Mensch und Tier seit Jahren warten, dass der Regen vom Himmel prasselt. Es war ein Medienspektakel. Das war’s dann schon vonseiten der Politiker, sagt Byrnes. „Die unterstützen die Kohleindustrie und die Autoindustrie. Und was ist mit uns? Auch wir brauchen Hilfe. Dringend.“

Denn was die Politiker meist nicht sehen, sind die Szenen, die Schaffarmer Byrnes täglich erlebt: ein auf die Knochen abgemagertes Tier mit klumpiger Wolle, seine Vorderbeine knicken ständig ein. Am wolkenlosen Himmel glüht die Sonne. Der Kreislauf des Tieres überhitzt in Minuten, die Hinterbeine geben nach, es legt sich zur Seite. Es ist längst zu schwach, wieder auf die Hufen zu kommen. Am Abend haben die Krähen das Schaf entdeckt. Sie picken als Erstes die Augen aus. Dann machen sie sich an die weiche Haut am Bauch. Die offenen Wunden locken Ameisen an. Das Schaf wird buchstäblich bei lebendigem Leib gefressen. Erst am anderen Morgen, bei Sonnenaufgang, ist es endlich tot.

Wer einmal eine solche Szene miterleben musste, vergisst sie nicht mehr. Für Menschen wie Dennis Byrnes gehören sie zum Alltag. Der Bauer in der Nähe der Stadt Goulburn, drei Stunden südlich von Sydney, hält auf einer 1.200 Hektar großen Farm bis zu 6.000 Schafe. Genau weiß er es nicht. Überall auf seinem Grundstück liegen die blassen Knochen der Tiere. „140 Jahre ist diese Farm schon in unserer Familie“, sagt er, „aber so schlimm war es noch nie“, sagt Byrnes.

„Jahrtausenddürre“ nennen die Boulevardmedien die Trockenheit, die seit bald sieben Jahren in weiten Teilen im Südosten des australischen Kontinents herrscht. Aussicht auf eine wesentliche Änderung gibt es auf absehbare Zeit nicht. 98 Prozent des wirtschaftlich bedeutendsten Bundesstaates New South Wales – Heimat der Weltmetropole Sydney – gelten offiziell als Dürregebiet. Seit Jahren gibt es keinen richtigen Regen, nur gelegentlich mal einen Schauer, einen Hauch Feuchtigkeit, der von der Hitze rasch wieder aufgesogen wird. Die Wasserreservoirs der Städte sind auf Minimalstand. Wo Wiesen waren, gleicht die Landschaft einer Steppe.

Auf Byrnes’ Farm Wood Park bilden die Sommerwinde kleine Staubwirbel und tragen sie in Richtung Horizont. „Das Leben auf dem Land war schon immer mit einem Klimarisiko behaftet. Wir sind einiges gewöhnt“, sagt der 60-Jährige. „Aber diese Dürre übertrifft alles.“ Eigentlich wäre Byrnes gerne in Rente gegangen. Er wollte die Farm seinem 26-jährigen Sohn Jo übergeben. Aus der Traum. „Meine ganze Altersvorsorge ging in den Kauf von Futtermitteln“, sagt Byrnes und kratzt sich nervös die ledrige Haut seiner Hände.

Doch die Klage des Bauern über zu wenig staatliche Hilfe ist nicht ganz gerechtfertigt. Die australische Regierung hat im letzten Jahr Millionen in die Unterstützung der Landwirtschaft gepumpt. Alle paar Monate kündigt Howard neue Hilfsmaßnahmen an; alleine im letzten September präsentierte er ein Rettungspaket von 350 Millionen australischen Dollar (210 Millionen Euro). Im Gegensatz zu ihren europäischen Kollegen genießen australische Bauern keine Subventionen. Doch jetzt gibt es Unterstützung beim Kauf von Futter und Hilfe bei der Rückzahlung von Hypotheken. Und auch der Fiskus zeigt Gnade. Viele Landwirte müssen ihr auf ein Minimum geschrumpftes Einkommen nicht versteuern.

Die Hilfe ist zu einem Teil politisch motiviert: Die Landwirtschaft ist traditionell eine wichtige Stütze der konservativen Koalitionsregierung. Doch es sind die Folgen der Trockenheit für die Gesamtwirtschaft, die eine immer größere Zahl von Politikern das Fürchten lehrt. Die Dürre werde das Wirtschaftswachstum im laufenden Finanzjahr um 0,7 Prozent drücken, so Experten. Laut Philip Glyde vom staatlichen Forschungsinstitut Abare hat „die Dürre einen signifikanten Effekt auf das Gesamtwachstum, weil die Landwirtschaft direkt und indirekt mit vielen anderen Industrien verbunden ist“. Wenn der Bauer nichts mehr verdient, kann er auch kein Geld mehr ausgeben: im Schuhladen, beim Bäcker, beim Autohändler.

In der Küche der Familie Foley gibt es Tee und Kuchen, „von Bäcker Woolworth“, sagt Bäuerin Rachael, 38, grinsend. Sie hat das Gebäck heute im Supermarkt gekauft und nicht selber gebacken. Eine Ausnahme. Wie viele Landwirte sparen auch die Foleys jeden verfügbaren Dollar, um Futter zu kaufen. Denn das wird immer teurer: Die Tonne Trockennahrung für Schafe ist von 280 auf 430 Dollar gestiegen, ein Ballen Heu von 17 auf 22 Dollar. Urlaub ist schon lange nicht mehr möglich. Doch Rachael und ihr Ehemann Peter, 46, hadern nicht mir ihrem Schicksal, zumindest nicht öffentlich: „Anderen geht es noch viel schlechter.“ Jede Woche sollen sich vier australische Landwirte aus Verzweiflung das Leben nehmen, sagt die Organisation für Depressionskranke, „Beyond Blue“.

„Dürre gehört zum Geschäft“, meint Peter Foley. „1982 hatten wir eine. Die war scharf und schnell. Ein paar Monate. Aber das war’s dann.“ Er nimmt den Hut und steigt in den „Ute“, das typisch australische Pick-up-Fahrzeug. Über kleine, windige Hügel der Farm Fairview geht es zu einem Dam, einem von Menschenhand geschaffenen Weiher, der Rindern und Schafen als Tränke dient. Er ist trocken. „Alle unsere Dams sind leer“, sagt Foley, geht in die Knie und greift dort in den Staub, wo das Wasser eigentlich vier Meter tief stehen sollte. Er hat einen großen Teil seines Viehs verkauft, zu Schleuderpreisen. „Im Oktober erhielt ich für ein Schaf 30 Cent“, sagt er. Seither hat sich die Situation weiter verschlimmert. Auf dem Viehmarkt von Goulburn wechselte eine Herde von 37 Schafen für einen Dollar den Besitzer. Immer mehr Bauern sind gezwungen, ihre besten Tiere zum Metzger zu bringen. Auch die Rinderfarmer.

Längst sagen die Experten, dass Klimaveränderung und global feststellbar steigende Temperaturen zumindest mit verantwortlich sind für die „Jahrtausenddürre“. Doch ihre Warnrufe verhallen meist in der sich ausbreitenden Wüste. Obwohl pro Kopf der Bevölkerung weltweit der größte Verursacher von Treibhausgasen, ist Australien in Sachen Klimaschutz ein Außenseiter – und der Anführer der Klimaskeptiker aus „Down under“ heißt John Howard. Wie US-Präsident George W. Bush weigert sich der Premier, das Kioto-Protokoll zur Reduzierung der Treibhausgase zu ratifizieren – und er hat dafür die Unterstützung vieler Kommentatoren in den mehrheitlich regierungsfreundlich gestimmten Medien. Die Meinungsmacher helfen mit, Glaubwürdigkeit und Forschungsergebnisse wichtiger Klimawissenschaftler in Frage zu stellen.

„Was nicht sein darf, kann nicht sein“, fasst ein grüner Lokalpolitiker die Haltung Howards zusammen. Der wirkliche Grund für die „Scheuklappenmentalität“ liege jedoch in der Tatsache, dass die gesamte australische Wirtschaft auf der Nutzung von ebenso billiger wie schmutziger Kohleenergie aufgebaut sei. „Und die Kohleindustrie ist die politisch und wirtschaftlich einflussreichste Lobby des Landes.“ Kritiker glauben, dass auch die mangelnde Unterstützung – ja Opposition – der Regierung gegenüber alternativen Energieformen ihre Ursache im Einfluss der Kohlewirtschaft hat. Während andere Länder die Nutzung alternativer Energiequellen ausbauen, ist der Trend in Australien rückläufig. Und dies, obwohl das Land geradezu gesegnet ist mit erneuerbaren Energien wie Sonne und Wind.

Erst kürzlich aber hinterfragte John Howard den Sinn von Windenergie und stellte groteske Behauptungen in den Raum. Man müsse an der australischen Küste „alle paar hundert Meter eine Windturbine“ aufstellen, um den Bedarf an Energie zu befriedigen. Laut einem Experten der University of New South Wales in Sydney ist diese Aussage „ganz einfach nicht wahr“. Gleichzeitig begann der Premier, für die Einführung von Atomstrom zu werben. Angesicht des hohen Energiebedarfs Australiens, der sich bis 2050 verdopple, sei es „völlig irrsinnig“, die Entwicklung einer Atomenergieindustrie nicht zu prüfen, so der Ministerpräsident. Nuklearstrom sei „grün und sauber“. Doch in der Mehrheit der Bevölkerung hat die Dürre mit geholfen, ein Umdenken auszulösen. Das zeigen Umfragen. Die meisten Australier glauben heute, Klimaveränderung sei ein wichtiges Problem – sie fordern von den Politikern entschiedenes Handeln.

Auch in der Küche der Familie Foley wird das Thema Klimawandel diskutiert. Trotz einiger Zweifel dringt bei Peter und Rachael die Erkenntnis durch, „dass da etwas dran ist“ am Zusammenhang von Klimaveränderung und Dürre. Er sei eigentlich ein „sehr konservativer Mensch“, sagt Peter Foley, „und Konservative ändern sich nicht gerne.“ Aber die Farm soll auch noch seinen Kindern ein Auskommen geben. Die Foleys überlegen deshalb, auf den abgegrasten Hügeln von Wood Park Windturbinen installieren zu lassen. „Eine Firma hat uns ein gutes Angebot gemacht“, sagt Rachael. Finanziell wäre es attraktiv, zum Windfarmer zu werden: Eine Turbine brächte mehr als die Wolle hunderter Schafe. Nur die Nachbarn müssen noch mitziehen. „Sie haben Angst, dass sich die Windräder nach einem Blitzschlag vom Mast lösen könnten, wie riesige Feuerräder über das Land rollen und dabei alles in Brand stecken“, sagt Peter.