: Tilgung der rebellischen Phase
Früher Rebell, heute Psychopath
betr.: „Die RAF-Debatte“, taz v. 23. 2. 07
Die sich in der Diskussion um die Freilassung der letzten RAF-Häftlinge befindenden Begriffe der „Gnade“ „Reue“, „Schuld“, „Sühne“ bieten nicht den Rahmen der sachlichen Beurteilung eines abgeschlossenen und gescheiterten politischen Kampfes. Wir müssen uns darauf besinnen, dass es sich bei den gezielten Liquidationen, welche die RAF an Vertretern von Staat und Gesellschaft vollzog, um politische Akte handelte: Diese müssen auch in ihren Konsequenzen politisch und nicht vom Standpunkt emotionaler Opferrolle aus beurteilt werden, zumal die Staatsmacht keinen Bußvollzug für erlittene persönliche Verluste gewährleisten kann. Belässt die Staatsmacht solche politischen Gegner in ihrer Existenz, so muss diesen nach dem Scheitern ihres politischen Kampfes nach angemessener Zeit Gelegenheit gegeben werden, sich in ihrer Subsistenz und Ehre eigenständig zu behaupten. Wir haben ein Jahrhundert der politischen Überspannung und Erschöpfung hinter uns: Für die gleiche politische Tat war der Täter 1930 noch ein Revolutionär, 1950 ein Rebell, 1970 ein Terrorist – heute gilt er als Psychopath. Das Scheitern der RAF ist verbunden mit dem Herabsinken der politischen gesetzwidrigen Tat zum gemeinen Verbrechen in der Rezeption der Medien und der Bevölkerung: Das explizit Politische auch in gewaltsamer Etablierung von Macht wird in der westlichen Gesellschaft nicht mehr verstanden. Dieser Verlust des Politischen ist auch eine der Wurzeln unserer Schwierigkeiten im Verständnis der Herausforderungen durch den politischen Islamismus – wir fabulieren zu viel von Frieden und Wohlstand zu den Bedingungen unserer Überflussgesellschaft.
MARTIN RUF, Schönau
Schon geht die Geschichte weiter
betr.: „Die Muster der Verdrängung“
Warum Klaus Walter ausgerechnet zwei Repräsentanten des „roten Jahrzehnts“ wie Koenen und Kraushaar an den Pranger stellt, die sich nun wirklich sehr akribisch mit ihrer eigenen Biografie auseinandergesetzt haben, ist mir schleierhaft. Allerdings hat er natürlich nicht unrecht mit einer Erinnerung an einige für viele dieser Generation unbequeme Episoden ihrer „wilden Jahre“. Nichts gegen modische Dreireiher, aber irgendwie wird man den Verdacht nicht los, dass es sich dabei um eine lächerliche Mimikry handelt, um einige nicht so elegante Flecken der eigenen Lebensgeschichte zu verdecken.
„Wir tragen“, so schrieb Levi einmal, „solange wir leben, eine Verantwortung: wir müssen einstehen für das, was wir schreiben, Wort für Wort, und darauf achten, dass jedes Wort trifft.“ Wie himmelweit ist diese aus bitteren Erfahrungen gewonnene Einsicht entfernt von den eloquenten Wortspielereien, mit denen einige politische Repräsentanten aus meiner „linken Generation“ der Sechziger-/Siebzigerjahre heute die Medien unterhalten. Was schert mich das Gerede von gestern oder eine schnelle medienwirksame „Beichte“, und schon geht die Geschichte weiter.
Aber diese Floskel vom „längst vergessenen Schnee von gestern“, diese so ambivalente Haltung gegenüber einer vollkommen realitätsblinden, radikal zynischen, letztlich durch und durch unpolitischen „Stadtguerilla“ hat doch auch Opfer gekostet. Nicht nur Opfer des Terrorismus, sondern auch Opfer im Innern der „linken Großfamilie“ jener Jahre. Ein Beispiel von vielen: Die Rede von Joschka Fischer auf dem „Antirepressionskongress“ des „Sozialistischen Büros“ im Jahre 1976 bewegte sich, bei aller Distanzierung von terroristischer Gewalt, immer noch im Rahmen jener schrecklichen „bleiernen Solidarität“ (Jürgen Seifert), die alle, die sich ebenfalls einer „antifaschistischen Tradition“ zuordnen wollten, oft den Hals zugeschnürt hat. „Gerade weil unsere Solidarität den Genossen im Untergrund gehört …“ (Fischer in seiner „Liebes-, Zärtlichkeits- und Freiheitsrede“ von 1976 auf dem Römerberg)
So verhunzte man in jenen Jahren einen für viele Menschen zum Beispiel im antinazistischen Untergrundkampf wertvollen Begriff der Solidarität. Wie konnte man nach den vielen Mordaktionen der RAF bis 1976 noch von „Genossen im Untergrund“ sprechen? Und wer spricht denn zum Beispiel heute noch von den vielen psychischen Wracks, den entmutigten und radikal desillusionierten kleinen „Wasserträgern“ in jenen Bewegungen der Siebzigerjahre, an deren Spitzen Leitfiguren standen, die heute ohne große Selbstreflexion ihrer damals vertretenen politischen Realitätsverleugnung ganz oben in den Institutionen der Republik stehen, die sie einmal radikal aus „den Angeln heben“ wollten. In der bisher innerhalb der „linken Familie“ hegemonialen Erinnerung an „68“ hat sich eine Geschichtsschreibung durchgesetzt, die einmal, in einem anderen Zusammenhang und von „68ern“ gegen einen anderen „Gegner“ gerichtet, als eine „Geschichtsschreibung der Sieger“ bezeichnet wurde. Es äußern sich immer nur die „etablierten 68er“, und nur an sie wird gedacht, wenn man über jene Zeit heute nachdenkt. „Doch die im Dunklen sieht man nicht …“
CARL WILHELM MACKE, München
Furcht vor Stoiber, „Bild“ & Co?
betr.: „Die Muster der Verdrängung“, taz vom 20. 2. 07
Angenehm klare Worte von Klaus Walter, vor allem deshalb, weil im Gegensatz zu manch anderen Diskussionsbeiträgen kein denunziatorisches Element enthalten ist. Unbeantwortet bleibt allerdings die Frage, woraus bei vielen Exlinken der Wunsch nach Tilgung der rebellischen Phase (mit der Jahre zuvor noch vielfach Eindruck geschunden wurde) aus der Biografie resultiert. Ist es wirklich nur, wie auch im Artikel angedeutet, das Bedürfnis, die erlangten Positionen in Stadtparlamenten, Bundestag oder Universitäten zu halten? Oder spielt vielleicht auch die Furcht, von Stoiber, Bild & Co. in die Riege der keine Reue zeigenden Unbelehrbaren eingeordnet zu werden, eine Rolle?
Wie auch immer: Die Reinwaschung der individuellen Vergangenheit hat in Deutschland ja schon lange Tradition, wie z. B. auch an Filbinger, Schleyer etc. zu sehen. Was denen recht war, scheint vielen Exsympathisanten billig zu sein. FRANK PÖRSCHKE, Hattingen
Es gab unzählige Sympathisanten
betr.: „Muster der Verdrängung“
In dem damaligen Klima gab es unzählige Sympathisanten angesichts der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse, das sollte nicht unter den Tisch gekehrt werden. Wer sich mit seiner politischen Biografie davon abspaltet, wird nicht glaubwürdiger, wenn er heute die RAF ins pathologische Abseits drängt.
JÜRGEN SCHIERHOLZ, Bremen
Heuchlerische und verlogene Debatte
betr.: Muster der Verdrängung“
Es wurde höchste Zeit, dass endlich einmal ein Mensch mit Sachkenntnis die Dinge zurechtrückt. Endlich kommt in diese heuchlerische und verlogene Debatte das berühmte Körnchen Wahrheit. Diese scheinheilige Bande (Fischer, Cohn-Bendit und all die anderen) musste endlich mal wieder jemand daran erinnern, wie es wirklich war. Jedes Mal, wenn ich an der alten Karl-Marx-Buchhandlung vorbeigehe, krampft sich mir das Herz zusammen, wenn ich an die Damaligen und ihre wundersame Wandlung denke! Wenigstens wahrhaftig hätten sie ja bleiben können.
WOLFGANG GRÄTZ, Frankfurt a. M.
Verzerrte, einseitige Darstellung
betr.: „Muster der Verdrängung“
Ich bin in keiner politischen Gruppierung tätig und gehöre aufgrund meines Geburtsjahres 1972 auch nicht zu den sogenannten Altlinken, habe mich jedoch aus aktuellem Anlass mit der Geschichte der RAF und dem gesamten Deutschen Herbst beschäftigt. Die derzeitige völlig verzerrte und vor allem einseitige Darstellung dieser Epoche in sämtlichen Medien macht mich wütend, und es stellt sich die Frage, wie es möglich ist, dass sich eine ganze Generation tagtäglich in die eigene Tasche lügt. Darum war es eine wahre Offenbarung, den Artikel von Klaus Walter zu lesen. Er lässt hoffen. MAYA MEKDADELauf an der Pegnitz
Das Gedächtnis lässt mit den Jahren nach
betr.: „Das Muster der Verdrängung“
Dass das Gedächtnis mit den Jahren nachlässt, ist bekannt. Zur Ehrenrettung meiner Generation sei jedoch gesagt: Durchaus nicht alle, bei denen damals klammheimliche Freude aufkam, obschon sie selbst nie zur Keule gegriffen hätten, haben sich dem großen Vergessen anheimgegeben. Eine kleine private Umfrage ergab, dass die Verdrängungsleistung eher in den Reihen derer stattfindet, die mittlerweile zu bürgerlichen Ehren gelangt sind. Getreu dem Lied von Freiligraths „Gutem Bürger“: „Gewiss, man tobt sich einmal aus im Leben, es wär ja um die Jugend schade. Doch führt man erst ein eigen Haus, so werden Fünfe plötzlich gerade.“
BARBARA AHRENS, Berlin
Wo war damals die mediale Empörung?
betr.: „Sagt, wer geschossen hat“ von Christian Schneider, taz vom 21. 2. 07
„Sagt, wer geschossen hat!“ oder „Volle Kraft voraus!‘ “, rief Edward John Elias Smith ins Kommandorohr.
Was denkt sich der Herr Schneider dabei, die Taten des Nationalsozialismus kausal neben die Taten der RAF zu stellen, ohne die jeweiligen unterschiedlichen geschichtlichen Dimensionen der Taten und ihrer Folgen zu betrachten?! Durch diesen Vergleich verharmlost Herr Schneider den Holocaust, dem 6 Millionen Juden, tausende Sinti, Roma, Homosexuelle, Menschen mit Behinderungen und Linke zum Opfer fielen. Aber damit nicht genug, Schneider fordert ohne geschichtliche Adaption, die RAF Täter sollten dem nachgehen, was sie vor 40 Jahren von der Elterngeneration einforderten: Schweigen brechen, die lebenden Täter benennen und bestrafen zu dürfen. Damit leugnet Schneider in seinem Artikel zum zweiten Mal die geschichtliche Wirklichkeit. 1967 handelte es sich um NS-Täter, die nach der Gründung der BRD zu ranghohen Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft aufstiegen, welche juristisch nicht oder kaum für ihre Taten belangt wurden, geschweige denn in irgendeiner Form Reue für ihre vergangenen Taten zeigten.
Dies spiegelt einen ganz anderen gesellschaftlichen Zusammenhang wider als die Auseinandersetzung mit der RAF, deren Mitglieder juristisch ihre Straf mehr als angemessen ableisteten.
Folgen wir weiter Herrn Schneiders Ausführungen und betrachten die individuellen Intentionen der Auseinandersetzungen, so lässt sich feststellen, dass die psychischen Belastungen der Hinterbliebenen ins Rampenlicht der medialen Anklage gezerrt werden. Bleibe ich bei dieser Konstruktion der Auseinandersetzung, stellt sich mir die Frage, ob sich der SS-Untersturmführer Hanns-Martin Schleyer jemals mit den Angehörigen der Opfer des Nationalsozialismus ausgesprochen hat.
Wo war damals die mediale Empörung, als die Opfer des Nationalsozialismus und ihre Angehörigen um ihre Anerkennung – in einigen Fällen geradezu um ihre faktische Existenz – kämpfen mussten?
HATTO TER HAZEBORG, Hamburg
RAF-Leute nicht mit Nazis vergleichen
betr.: „Sagt, wer geschossen hat“
Ich finde es die Höhe, die RAF-Leute, die jetzt nach 24 Jahren Gefängnis entlassen werden sollen, mit den Tätern im Dritten Reich zu vergleichen. Letztere lebten unerkannt unter uns, ohne vorher 24 Jahre im Gefängnis gesessen zu haben für ihre Taten. Im Gegenteil, viele von ihnen, besonders die oberen Chargen, zogen noch Vorteile aus ihrem verbrecherischen Vorleben.
FRIEDRICH CLEMENS, Neuenmarkt
RAF-Geschichte ist kein alter Hut
betr.: „Die RAF als Retro-Grusel“, taz vom 20. 2. 07
Über den Kommentar von Stefan Reinecke bin ich verärgert. Der Sozialismus der RAF teilte die Menschen auf. Einerseits gab es Menschen, die für die neue Gesellschaft tauglich waren. Auf der anderen Seite gab es die Schweine und Volksfeinde, die vernichtet werden konnten.
Die Reduzierung von Menschen auf Objekte des eigenen Fanatismus war ein verbrecherischer Irrweg, aus dem die RAF nie herausfand. Dennoch ist die Geschichte der RAF kein alter Hut, im Gegenteil. Eine kritische Auseinandersetzung mit politischem Extremismus und der Psychologie fanatischer Straftäter könnte die liberale Demokratie stärken. Gerade in Zeiten einer zunehmenden Verklärung autoritärer Staatsformen und Demokratieverhöhnung insbesondere durch junge Erwachsene in vielen europäischen Staaten sind Aufklärung, Bildung und die Verteidigung der unteilbaren Menschenrechte (die auch für die RAF-Täter gelten) zwingend notwendig.
MARKUS ERICH-DELATTRE, Hamburg
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