: In der Mitte der Gesellschaft
TEILHABE Im Stadthaushotel Hamburg arbeiten Menschen mit und ohne Handicap seit 21 Jahren für den Komfort der Gäste. Es war das erste Integrationshotel Europas – nun soll ein weiteres in der Hafencity folgen
VON KATHARINA SCHIPKOWSKI
„Danke! Während des Aufenthalts in Ihrem Haus haben wir die Normalität erfahren, die uns im Alltag häufig fehlt.“ So oder ähnlich klingen viele der Gästebucheinträge im Stadthaushotel Hamburg. Dabei ist Normalität ein Begriff, den Kai Wiese, der Vorsitzender des Trägervereins des Hotels, eigentlich zu vermeiden versucht. „Normalität ist Durchschnitt, und Durchschnitt interessiert mich nicht“, sagt er. Außerdem: Was ist schon „normal“?
Das Stadthaushotel Hamburg ist ein Integrationshotel. Hier arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung zusammen, teilen sich die Aufgaben, helfen sich gegenseitig. Neun der zwölf Mitarbeiter im Hotelbetrieb haben ein Handicap. Sie betreuen die Gäste, machen Frühstück, waschen Wäsche, richten die Zimmer her. Die HotelbesucherInnen sind häufig Familien oder Pärchen, aber auch Geschäftsreisende, UrlauberInnen, Menschen mit und ohne Behinderung.
Seit 1993 gibt es das Hotel an der Holstenstraße. Damals war es das erste Integrationshotel Europas. Mittlerweile gibt es allein in Deutschland mehr als 30 Integrationshotels. Damit ein privatwirtschaftlicher Betrieb wie ein Hotel als Integrationsbetrieb gilt, müssen mindestens 25 Prozent der dort arbeitenden Menschen schwerbehindert sein.
Eine „Behindertenquote“ also? „Das kann man so sagen“, bestätigt Christian Woltering vom Paritätischen Bund und verweist auf Artikel neun des Sozialgesetzbuchs, der diese Vorgabe regelt. Ein Integrationsbetrieb erhält danach für jede beeinträchtigte Arbeitskraft eine Förderung vom Finanzamt und muss den Rest selbst erwirtschaften.
Kai Wiese ist Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer des Trägervereins Jugend hilft Jugend, der das Stadthaushotel betreibt. „Wir arbeiten nicht profitorientiert“, erklärt er, „aber am Ende des Jahres müssen wir eine schwarze Null schreiben.“ Das Führen des Hotels nach betriebswirtschaftlichen Kriterien ist für ihn eine leidige Notwendigkeit. Aber es habe auch Vorteile: „So geben sich alle hier Mühe, ein richtig gutes Produkt abzuliefern.“
In der Tat: Die drei Sterne des Hotels kommen nicht von ungefähr. Die Zimmer sind picobello sauber, die Badezimmer blitzblank. Shampoo, Seife und Duschgel in hotelüblicher Miniatur liegen auf der Ablage über dem Waschbecken bereit. Sogar ein kleines Nähset ist dabei. Auf den ordentlich gemachten Betten liegt ein Niederegger-Marzipanherz an jedem Kopfende. Dahinter ein Kissen mit akkuratem Handschlag-Knick. Kai Wiese lacht: „Das ist für mich der Inbegriff des bürgerlich-Gelsenkirchener Barocks: Das Marzipan-herz und das Kissen mit Knick.“ Bei ihm zu Hause sieht es vermutlich anders aus. „Aber so gehört das eben“, sagt er und zuckt die Achseln. „Den Bediensteten gefällt’s.“
Da ist zum Beispiel Jens Lüttensee. Er ist einer der Mitarbeiter mit Handicap und war von Anfang an dabei. Gefällt ihm die Arbeit? „Ja sicher!“, bekräftigt Jens. Am liebsten arbeitet er in der Wäscherei, wo die Hemden, Hosen und Westen der Angestellten gewaschen und gebügelt werden.
Jens wohnt, wie auch einige andere der beeinträchtigten Angestellten, in einer betreuten Wohngruppe über dem Hotel. Die oberen Etagen des Rotklinkerbaus sind komplett mit Wohngruppen belegt. Im Erdgeschoss liegt das Hotel mit sieben Gästezimmern, der Küche, dem Esszimmer und den Verwaltungsräumen. Ein Neubau nebenan beherbergt sechs weitere Hotelzimmer. Zwischen den Gebäuden liegt ein ruhiger und schattiger Garten.
Aus einer Wohngruppe ist übrigens das gesamte Projekt entstanden: 1987 schlossen sich die Eltern acht beeinträchtigter Jugendlicher zusammen und gründeten den Verein Werkstadthaus e.V. Dessen Ziel war es, den Kindern eine Verbindung von Arbeit und Wohnen zu ermöglichen. So entwickelten sie das Konzept des Integrationshotels mit den darüber liegenden Wohnungen.
Die Umsetzung gestaltete sich schwierig: Die Einnahmen deckten die Kosten nicht, und der Verein fand keinen geeigneten Träger. Bis Kai Wiese von Jugend hilft Jugend aufmerksam wurde. Das sozialtherapeutische Netzwerk gliederte den Verein Werkstatt e.V. ein und stellte Geld für Ausbau und Erweiterung des Hauses zur Verfügung. Mittlerweile erfreut sich das Stadthaushotel so großer Beliebtheit, dass es oft ausgebucht ist.
Nun möchte Kai Wiese nochmals expandieren: Ein weiteres Integrationshotel ist in Planung. In der Hafencity soll es stehen und das größte Integrationshotel Europas werden. 40 Menschen mit Handicap sollen dort arbeiten, 160 Zimmer soll es haben und im Herbst 2016 fertig sein.
Auf die Frage, warum ihn die Hafencity reizt, erklärt Wiese: „Ein Hotel braucht für seinen Erfolg drei Dinge: Eine gute Lage, eine gute Lage und eine gute Lage.“ Denn um Zentralität geht es schließlich nicht nur im räumlichen Sinne. Das Stadthaushotel holt ganz konkret Menschen mit Handicap ins Zentrum der Gesellschaft. Der Abbau von Barrieren ermöglicht so nicht nur den Zugang zu (Hotel-)Räumen, sondern zu gesellschaftlicher Teilhabe insgesamt.