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Archiv-Artikel

Eine Stadt läuft aus dem Ruder

POTSDAM Brandenburgs Hauptstadt boomt: Touristen lieben sie, Familien leben gern dort, die Wirtschaft wächst. Nun zeigen sich die Schattenseiten der raschen Veränderungen: Bezahlbare Wohnungen sind Mangelware, Schulen fehlen, und auch beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs gibt es Probleme

Laut einer Studie ist die Versorgung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in 30 märkischen Kommunen besonders gefährdet – alle liegen im Speckgürtel Berlins, Potsdam zählt dazu

VON MARCO ZSCHIECK (TEXT) UND ALEXANDER LABRENTZ (FOTOS)

Wer sich vom zentral gelegenen Potsdamer Hauptbahnhof auf den Weg macht durch die brandenburgische Landeshauptstadt, sieht es sofort: Es wurde und wird unglaublich viel gebaut. Direkt neben dem zu Jahresanfang eröffneten rosagetünchten Landtag in Gestalt des einstigen barocken Stadtschlosses drehen sich die Kräne: An der Havel entstehen teure Eigentumswohnungen und ein Kunstmuseum für die Sammlung des Milliardärs und Stadtmäzens Hasso Plattner.

Potsdam verändert sein Gesicht, die Einwohnerzahl wächst stetig, seit 2003 um knapp 2.000 pro Jahr auf inzwischen mehr als 162.000. Auch die Wirtschaftskraft nimmt zu und die Touristen strömen. Von Verfall und Abwanderung wie in vielen mittelgroßen ostdeutschen Städten ist nichts zu spüren. Also alles gut?

Mitnichten. Denn der Erfolg des schicken Potsdams produziert auch Verlierer und damit nicht zuletzt Kosten in Millionenhöhe für die öffentliche Hand.

Seit Kurzem ist amtlich, was viele schon lange wissen, die in der Stadt nach einer bezahlbaren Bleibe suchen. Laut einer Untersuchung im Auftrag des brandenburgischen Ministeriums für Infrastruktur ist die Versorgung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in 30 Kommunen besonders gefährdet – alle liegen im Speckgürtel Berlins, Potsdam zählt natürlich dazu. „Mieten müssen bezahlbar bleiben, gerade für Familien mit geringem Einkommen“, schlussfolgerte Infrastrukturminister Jörg Vogelsänger (SPD), der das Gutachten in Auftrag gegeben hatte.

Tatsächlich ist die Untersuchung die Voraussetzung für eine sogenannte Kappungsgrenze für bestehende Verträge: Nach einem Gesetz, das noch die alte schwarz-gelbe Bundesregierung verabschiedet hatte, ist es möglich, Mieterhöhungen in laufenden Mietverhältnissen auf 15 Prozent in drei Jahren zu begrenzen. Bisher sind 20 Prozent zulässig. Es ist den Bundesländern überlassen, die Regelung per Verordnung in Kraft zu setzen – wenn sie zuvor eben nachweisen, dass die Wohnungsversorgung gefährdet ist. Anfang Juli stimmte das Landeskabinett dem Entwurf zu. In Berlin besteht eine entsprechende Regelung bereits seit Mai 2013.

Private sollen ran

Endlich erkenne das Land den Zustand auf dem Potsdamer Wohnungsmarkt an, heißt es aus dem Büro des Oberbürgermeisters Jann Jakobs (SPD). Schließlich hatte das Rathaus schon vor zwei Jahren verfügt, dass das stadteigene Wohnungsunternehmen Gewoba, dem immerhin rund 17.000 von insgesamt 85.000 Wohnungen in der Stadt gehören, die Bestandsmieten deckelt. Nun müssen auch die Privaten ran. Selbst der Mieterbund ist halbwegs zufrieden, verlangt jedoch wie die Stadtverwaltung, dass das Land nun zusätzlich den Kündigungsschutz bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen verbessert. Auch diese Möglichkeit erlaubt das geltende Bundesgesetz, hier ist aber selbst Berlin noch nicht so weit.

Fraglich ist indes, inwieweit diese Verordnung die Lage auf dem Potsdamer Wohnungsmarkt verbessert. Denn es sind nicht die Bestandsmieten, die für die hohen Preise sorgen. Das lässt sich etwa an der Zahl der Räumungsklagen ablesen: Von 311 im Jahr 2011 ist sie auf 249 im vergangenen Jahr zurückgegangen.

Diese gute Entwicklung sei der Stadtverwaltung und dem Sozialmanagement der großen kommunalen und genossenschaftlichen Vermieter zu verdanken, meint die zuständige Beigeordnete Elona Müller-Preinesberger (parteilos): „Wir würden uns wünschen, dass auch private Vermieter dem Beispiel folgen.“ Erfahre die Stadtverwaltung von einer Kündigung, werde versucht, mit dem betroffenen Mieter zu sprechen. Häufig springt die Stadt mit einem Mietdarlehen ein. Im Notfall mietet die Verwaltung eine Ersatzwohnung an. Für die Stadt kostet das Engagement zunächst Geld. Ungefähr 400.000 Euro werden im Jahr dafür ausgegeben – das meiste davon als Darlehen an die säumigen Mieter. Doch das Geld sei gut angelegt, so Müller-Preinesberger. Die Unterbringung in einem Obdachlosenheim koste am Ende mehr – abgesehen davon, dass es kaum Plätze gebe.

Um den Anstieg der Mieten zu bremsen, fordert das Rathaus nun ähnlich wie der Mieterbund, dass das Land auch die Mietbremse für Neuvermietungen umsetzt, die derzeit von der Bundesregierung vorbereitet wird. „Gerade bei Neuvermietungen sind die Auswirkungen der steigenden Preise besonders gravierend“, berichtet Stadtsprecher Markus Klier.

Doch egal, welche Mietbegrenzungen Bund und Land ermöglichen – beim Kampf gegen den Wohnungsmangel kommt die Stadt nicht voran, wenn nicht ausreichend Wohnungen gebaut werden. Wegen des stetigen Einwohnerzuwachses werden 1.000 neue Wohnungen pro Jahr gebraucht. Immerhin: 2013 wurde diese Zahl erstmals fast erreicht (siehe Text unten).

Dass die ehemalige Preußenresidenz eine attraktiver Wohnort ist, ist keine neue Erkenntnis. „Potsdam hat nach der Wiedervereinigung zwar Einwohner verloren. Doch Arbeitslosigkeit und Abwanderung waren weniger dramatisch als in anderen Städten der ehemaligen DDR“, erklärt Karl-Ludwig Böttcher vom brandenburgischen Städte- und Gemeindebund. Es gab ohnehin wenig Großindustrie. Die Stadt etablierte sich rasch als Regierungs- und Verwaltungssitz. Eine Universität und eine Fachhochschule wurden gegründet mit inzwischen 25.000 Studierenden. Die Hälfte pendelt nach Berlin.

Besonders junge Familien zieht die Stadt an. Die Geburtenrate ist die zweithöchste unter den 16 bundesdeutschen Landeshauptstädten und Stadtstaaten. Nirgends steigt die Zahl der Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren schneller als in Potsdam. Der Kindersegen, um den andere Städte Potsdam beneiden, ist allerdings nicht ganz unproblematisch: Jede Prognose über den Bedarf an Kitas und Schulen musste bisher schon kurz nach ihrer Veröffentlichung wieder nach oben korrigiert werden. So wurde Ende vergangenen Jahres klar, dass bis zum Jahr 2023 acht Schulen mehr gebraucht werden als bisher angenommen. „Das bringt uns an die Belastungsgrenze“, sagt Kämmerer Burkhard Exner (SPD). 160 Millionen Euro muss die Stadt für Schulsanierungen und -neubauten ausgeben, finanziert über Kredite.

Wie die durch die Schulden entstehenden Mehrbelastungen in Millionenhöhe finanziert werden, sorgte für hitzige Debatten. Denn als Gegenfinanzierung sollte unter anderem die Grundsteuer erhöht und eine Bettensteuer für Touristen eingeführt werden. Über dieser Frage zerbrach die Regierungsmehrheit von Oberbürgermeister Jakobs: Seine Sozialdemokraten brachten das Paket schließlich mit Linken und Grünen durch.

Besser als bei den Schulen steht die Stadt bei der Kinderbetreuung da: Wie aus dem jährlichen Vergleich der Landeshauptstädte für 2012 hervorgeht, lag Potsdam bei der Versorgung mit 75,4 Prozent ganz vorn. Berlin kam gerade mal auf eine Quote von 41,5 Prozent. Etwa 15.000 Plätze gibt es in den Potsdamer Kitas. Doch kein einziger gehört der Stadt. Vor mehr als zehn Jahren gab Potsdam den Betrieb der Kitas an freie Träger ab. Sie bauen und unterhalten die Einrichtungen aus Elternbeiträgen und Zuschüssen der Stadtverwaltung. Die hohen Investitionen für Neubauten sind so aus dem Haushalt der Stadt ausgelagert.

Schwerer tut sich die Stadt hingegen bei den Investitionen in die Infrastruktur. So sind die Fahrgastzahlen des kommunalen Verkehrsbetriebes in den letzten Jahren stark angestiegen. Um die eckigen Tatra-Straßenbahnen aus den 80er Jahren durch barrierefreie Niederflurtrams auszutauschen, hat der Verkehrsbetrieb seit 2011 insgesamt 18 neue Fahrzeuge beim Pankower Hersteller Stadler geordert, zum Stückpreis von 2,5 Millionen Euro. „Trotzdem müssen die alten Tatras noch zehn Jahre lang fahren. Sonst reicht die Kapazität nicht aus“, sagt der Geschäftsführer des Verkehrsbetriebs. Weitere Neuanschaffungen sind angesichts sinkender Fördermittel für den Nahverkehr nicht drin. Ähnlich sieht es beim Ausbau des Gleisnetzes aus. Wie die gewünschte Tramtrasse in das geplante neue Stadtviertel auf dem ehemaligen Kasernengelände Krampnitz im Norden finanziert werden soll, steht in den Sternen.

Nicht nur Wohnungen werden in den kommenden Jahren gebaut werden. Die vielen neuen Potsdamer produzieren nämlich auch mehr Abwasser. Etwa 95 Millionen Euro muss der kommunale Wasserversorger bis 2020 in den Ausbau des Leitungsnetzes und die Erweiterung zweier Klärwerke stecken, sonst könnte die stinkende Brühe in die Havel fließen. Die Zeche zahlen die Verbraucher. Ursprünglich sollten die hohen Tarife für Wasser- und Abwasser ab 2017 gesenkt werden, sobald die Kreditbelastung aus der Rekommunalisierung der Wasserbetriebe vor mehr als zehn Jahren abgetragen ist. Daraus wird nun nichts, wie Geschäftsführer Wilfried Böhme Ende Juni ankündigte. Ziel sei es nun, dass die Preise nicht steigen.

Wegen der Kosten des Wachstums wird in Potsdam in den nächsten Jahren ein Spardiktat herrschen. Die sogenannten freiwilligen Ausgaben – also etwa Fördergelder für Kultur oder Sport – werden gedeckelt. Darauf hat sich die neue Mehrheit aus SPD, CDU und Grünen im Rathaus schon geeinigt. Außerdem bringt Kämmerer Burkhard Exner (SPD) auch Erhöhungen bei der Grund- und der Gewerbesteuer ins Spiel. Und beim Wohnungsmangel setzt man auf Zeit: Einerseits gehe auf dem Wohnungsmarkt die steigende Nachfrage dem Angebot naturgemäß voraus, heißt es aus der Bauverwaltung. Andererseits würden Flächen für den Wohnungsbau großzügig ausgewiesen.