: Natürlich zählt das Äußere
Vorurteile gegenüber Behinderten abbauen will der Verein „Partizip“ aus Hannover. Dazu organisiert er einen Schönheitswettbewerb und einen Kalender mit erotischen Aufnahmen, für den Modelle im Rollstuhl posieren. Kritiker sehen darin eine Anpassung an normative Schönheitsideale
von FRIEDERIKE GRÄFF
In Italien, sagt Renate Weidner, habe man vor zwei, drei Jahren schon einmal einen erotischen Kalender mit Modellen im Rollstuhl gemacht. Die hätten bloß Schuhe getragen und seien mit Ketten an den Rollstuhl gefesselt gewesen. „Wir wollten schöne erotische Aufnahmen machen“, sagt sie. „Nicht so platt wie bisher“. Nun hat der Hannoversche Verein „Partizip“ den Kalender „Beauties in motion“ herausgebracht. Darauf sind Frauen und auch ein paar Männer weitgehend nackt zu sehen. Kaum zu sehen sind die Rollstühle, meist nur als angeschnittenes Rad oder Stange im Vordergrund. Man könnte sagen, dass sich der Kalender nicht von irgendeinem anderen Erotikkalender unterscheidet, vielleicht lächeln die Modelle herzlicher als sonst.
Genau das, sagt Renate Weidner, sei das Verdienst des Kalenders. „Erotik und Behinderung – das ist für viele Menschen ein Riesenwiderstand.“ Die Bilder sind für sie ein Stück Normalisierung – oder, kämpferischer formuliert, Aneignung von Normalität. Und genauso betrachtet sie den „Modell Contest“, den der Verein seit 2004 veranstaltet. Ein Schönheitswettbewerb für Männer und Frauen im Rollstuhl. „Mein Anspruch ist es, sie genauso professionell zu präsentieren wie die Miss Germany“, sagt Weidner. Das ist nicht ganz einfach, für einen Verein ohne große Zuschüsse und mit gerade mal zwei Mitarbeitenden. Renate Weidner selbst ist stark sehbehindert, ihr Kollege sitzt im Rollstuhl. Trotzdem sollte es alles geben, was es sonst bei diesen Wettbewerben auch gibt: Visagisten und gute Fotografen, die Kleider wurden gestellt, damit nicht nur die Begüterten gut angezogen waren. Und eine Teilnahmegebühr gab es auch nicht.
Die Medien hat der Wettbewerb interessiert, es gab 35 Beiträge darüber. Renate Weidner sagt, dass sie darauf geachtet habe, dass nicht zu viel „Yellow press“ dabei war, aber RTL exklusiv kann sie nicht dazu gerechnet haben: Die widmeten dem Thema sieben Minuten. Die Siegerin des Wettbewerbs vom letzten Jahr war bei der Talk-Show von Bettina Böttiger im Fernsehen. Die habe sie aber immer nur nach dem Thema Behinderung gefragt, sagt Weidner. „Da kann ich die Wände hochgehen.“
Man stutzt erst einmal, wenn man das hört. Wäre es interessanter, mit ihr darüber zu sprechen, wie man die Schönheit seines Dekolletés erhält? Für Renate Weidner würde es Normalität bedeuten. Es gehe um Schönheit bei ihrem Wettbewerb, nicht um die Frage, mit welchem Verkehrsmittel man es dorthin geschafft habe. „Ich will nicht, dass es Fotos gibt, auf denen die begleitende Freundin gleichberechtigt drauf ist“, sagt sie mit großem Nachdruck.
2004, als der erste Wettbewerb stattfinden sollte, wurde im Vorfeld gedroht, mit Buttersäureattentaten. Die Selbstverständlichkeit, mit dem der „Modell Contest“ die Anforderungen des gängigen Schönheitsideals übernimmt, hat ihm heftige Kritik eingetragen.
In der Frauenzeitschrift Emma diskutierte eine Finalistin mit der Vertreterin von „Weibernetz“, einer politischen Interesenvertretung behinderter Frauen. Die Finalistin sagte, dass sie nicht dringend an einem Schönheitswettbewerb habe teilnehmen wollen, sondern etwas tun gegen die Einteilung in schöne Frauen auf der einen und Frauen im Rollstuhl auf der anderen Seite. Dass es an der Zeit sei, dass die Leute merkten: Es gibt schöne Frauen IM Rollstuhl.
Aber die Frau von „Weibernetz“ konnte sie damit nicht überzeugen. Die fand den Wettbewerb kontraproduktiv, weil er nur die gängigen Schönheitsnormen fortschreibe. Sie sagte, dass die Frauen in ihrem Bekanntenkreis nicht so aussähen wie die Modelle aus der Endausscheidung von „Beauties in Motion“. Und dass Frauen, die wegen ihrer Behinderung füllig geworden sind oder einen Beatmungsschlauch brauchen, niemals diesen Kriterien genügen könnten.
Fragt man Renate Weidner, ob sie mit ihrem Wettbewerb nicht die Ausschlussverfahren der nicht-behinderten Gesellschaft wiederholt, dann sagt sie einen Satz, wie man ihn immer sagen kann: „Es ist schließlich jeder Frau freigestellt, hinzugehen oder nicht.“ Sie findet es schlüssig, nur Menschen im Rollstuhl teilnehmen zu lassen, nicht aber zum Beispiel Kleinwüchsige. Denn das würde bedeuten „Äpfel und Birnen“ zu vergleichen. Es sei schlicht ungerecht. Sie sagt, dass sich endlich junge Frauen trauten, ihren Körper zu zeigen. Rund 150 Männer und Frauen bewerben sich inzwischen, 15 kommen in die Endauswahl.
Natürlich seien die äußeren Kriterien wichtig, sagt Weidner. Mehr als Kleidergröße 40 sollte es nicht sein. Aber genauso wichtig sei die Ausstrahlung. Deswegen besucht sie die 15 KandidatInnen der Endauswahl, um herauszufinden, wie „offen, kommunikativ und leistungsbereit“ sie sind. Denn für Weidner sollen sie so etwas wie Botschafter sein. Botschafter zum Beispiel beim Fotoshooting bei Brigitte. Dort war die 26-jährige Nina Wortmann ein Jahr nach ihrem Unfall das erste Modell im Rollstuhl, das fotografiert wurde. Dabei lässt sich Nina Wortmann nicht gerne fotografieren – es war ihr Mann, der fand, dass sie sich bewerben sollte. Nicht weil es ein Wettbewerb für Behinderte war. Sondern, weil er findet, dass sie hübsch ist.
Nina Wortmann nimmt so große Worte wie „Botschafterin“ nicht in den Mund. Sie sagt, dass es eine gute Abwechslung nach dem Unfall gewesen sei. Dass sie eigentlich nicht das Gefühl habe, nicht mehr als Frau wahrgenommen zu werden. „Es ist die Frage, wie man darin sitzt“, sagt sie. „Wenn ich mich grau anziehe und die Haare streng nach hinten käme, sieht mich natürlich niemand an.“ Sie sagt, dass sie den Wettbewerb und den Kalender gut findet, weil er zeige, dass man sich im Rollstuhl nicht verkrümeln müsse. Nicht mehr und nicht weniger.
Aber es finden sich nicht viele Leute, die den Kalender kaufen wollen. Es finden sich auch nicht viele, die die Modelle im Rollstuhl buchen wollen, auch das hat Renate Weidner nämlich organisiert. Zumindest nicht viele außerhalb der üblichen Verdächtigen wie den Treppenlift-Herstellern. In Amerika, sagt sie, sei man schon viel weiter. Da würden behinderte Modelle für Werbefilme von Nike und McDonald’s gebucht. „Deutschland ist da Entwicklungsland.“
Als RTL einen Film über den Kalender drehte, haben die Fernsehleute Menschen auf der Straße Bilder daraus gezeigt. „Mein Gott, warum nicht“, haben die meisten gesagt. Das sagen auch die Vertreter der Selbsthilfeorganisationen der Behinderten. „Endlich“, das hat niemand gesagt.