AUF WELCHE GEDANKEN EINEN DER PENNERNACHBAR SO BRINGEN KANN : Gentrifizierung ist eine Zickzackkurve
VON JOHANNES GERNERT
Neulich lag dieser Typ bei meiner Freundin vor der Tür, von dem nicht ganz leicht zu sagen war, ob es sich um einen Penner oder den Nachbarn handelte oder um eine Mischung von beiden. Während wir seinen mehrfach verbogenen Körper und die zerknautschte Plastiktüte betrachteten und warteten, bis er umständlich schnaufte, um sicher zu sein, dass alles in Ordnung war, dachte ich: Gentrifizierung ist keine Gerade. Eher eine Zickzackkurve, wie auf den grünlichen Monitoren in Krankenhausserien.
Eigentlich geht es da, wo meine Freundin wohnt, sehr bergauf. Mit den Mieten vor allem, aber das ist verdammt noch mal überall so gerade. Direkt bei ihr vor der Haustür ist jetzt außerdem diese Kneipe, die von Anfang an so französisch entspannt aussah, mit schönen Putzbröckeltapetenmustern, fast wie die vielen Läden ein paar Ecken weiter in der Weserstraße. Wir liefen manchmal an der Kneipe vorbei, als sie noch wie eine Baustelle aussah. Ich war bis jetzt noch nie drin, aber sie ist fast immer voll, wenn ich so darüber nachdenke. Und es ist schön, daran vorbeizulaufen, in dieser ansonsten doch etwas parkhausbetongrauen Straße.
Ich dachte, dass das bei mir früher oder später auch so kommen würde, dass die Gentrifizierung voranschreitet. Aber jetzt hat der Bioladen wieder zugemacht. Seitdem hoffe ich, dass es hier vielleicht doch ein bisschen mehr so bleiben könnte, wie es bisher war, und weniger so werden muss, wie es sonst schon überall geworden, ist in diesem Prenzlauer Berg. Vielleicht hat es auch gewisse Vorteile, direkt neben einem Recyclinghof der BSR zu wohnen.
Es ist wirklich ein ziemliches Zickzack. Als die Weinhandlungskneipe in meinem Haus aufmachte, in einem der letzten vor der Brücke zum Wedding, da dachte ich, dass bald auch ein italienisches Feinkostrestaurant folgen wird und viele Menschen, die ihre Lacoste-Hemden nicht wie ich von ihrem Großvater geerbt haben. Dann machte die Weinhandlungskneipe zu. Ihr bulliger Betreiber hatte die meiste Zeit allein in seinem Schaufenster gesessen. Dann allerdings machte sie wieder auf. Als Suppensalat-Café-Weinhandlung mit einer äußerst netten knallrothaarigen Köchin. Seitdem sitzen oft viele Leute im Café. Dann eröffneten meine Nachbarn auch noch den Bioladen, und die Sache schien gentrifizierungsmäßig gelaufen.
Jetzt hängt am Bioladenschaufenster eine Zu-haben-Annonce und vor der Tür meiner Nachbarn stehen kleine Plastikeinkaufskörbe, die mich irgendwie traurig machen. Dabei bedeutet das vielleicht nur, dass es hier noch ein bisschen parkhausgrau bleibt, im positiven Sinne. Es muss ja nicht alles sofort toscanaterracotta werden.
Meine Freundin zahlt in Neukölln mehr Miete als ich in Prenzlauer Berg. Daran könnte auch dieses wunderschöne Café mitschuld sein und diese gar nicht so uninteressanten Galerien, direkt ums Eck. Gegenüber ist weiterhin der türkische Krämerladen, dessen Weißbrote aussehen wie kruschige Ramschantiquitäten. Vorne am Platz schreien Kinder, und Mütter trinken Milchschaum. Das alles erinnert mich an etwas und dann auch wieder nicht.
Als wir zurückkommen, liegt kein Mann mehr vor der Tür. Aber doch irgendwie schön, dass er da war.