: Irritationen im Frühstücksraum
Das Hamburger Luxushotel Le Royal Méridien beherbergt neben reichen Geschäftsreisenden und Promis auch rund 640 zeitgenössische Kunstwerke. Das macht das Hotel zu einer neungeschossigen Privatgalerie, in der sich die KünstlerInnen aus der Region einer solventen Kundschaft präsentieren können
von JAN FREITAG
Eigentlich kann man diese Tür kaum falsch verstehen. Nicht hier. Schäbig, bieder, zahnschmelzgelb wirkt sie gerade im verschwenderisch luxuriösen Le Royal Méridien wie vergessen und nicht abgeholt. Dennoch greifen Gäste gern mal nach der abgewetzten Klinke, nur um festzustellen, was ziemlich nahe liegt: Die Tür ist zwar real, aber dennoch ein Fake. Sie ist nicht nur künstlich, sondern Kunst.
Vor der Eröffnung im September 2003 hat sie der Hamburger Objektkünstler Peter Dombrowe in den 3. Stock des Fünfsternehotels mit Alsterblick gesetzt, gleich beim Fahrstuhl, an eine Flurwand. Und wäre ihre Existenz in gediegener Inneneinrichtung nicht so absurd, die gelegentlichen Klagen zahlender Besucher ergäben beinahe einen Sinn. Geschmacklos sei dieses Ding, sagen einige. Ein kleiner Angriff aufs ästhetische Anspruchsdenken zahlungskräftiger Kunden, die für exorbitante Zimmerpreise nur das Beste verlangen. Ein unerlässlicher Mosaikstein im beispiellosen Interieur des Hauses ist diese Tür dagegen für die zuständige Galeristin Ruth Sachse. Einer von 640.
So viele Installationen, Reliefs, Kollagen, Fotos, Skulpturen, Drucke und Malereien kleiden den Neubau seit der Eröffnung vor gut drei Jahren mal in verführerische, mal unmerkliche, mal derbe Dessous. Arbeiten von Hamburger KünstlerInnen in jedem Gang, jedem Zimmer, jeder Ecke. Für 800.000 Euro hat Ruth Sachse das Gebäude der Volksfürsorge zu einer neungeschossigen Dauerausstellung umgestaltet. Es sei die größte öffentlich zugängliche Privatsammlung zeitgenössischer Kunst außerhalb städtischer Museen, womöglich im ganzen Land, sagt Sachse stolz. „Das gibt es in keinem anderen Hotel.“
Dabei treibt gerade in Hamburg die Übernachtungsindustrie besonders skurrile Blüten. Neben den trutzigen Traditionshäusern schießen „Avandgarde-Hotels“ wie Bürotürme aus dem Boden. Hier das hanseatisch vornehme Atlantik mit seiner schweren Bebilderung in Öl, da das exzessiv poppige Side im futuristischen Retro-Look. Dazwischen aber das Le Méridien: Weniger entrückt als Design-Häuser, nicht so „plüschig wie Grandhotels“, betont PR-Frau von Poser. „Art + Tech“ heißt er in schickem Marketingsprech, der angesagte Mix aus lokaler Gegenwartskunst und multimedialer Redundanz.
Technischer Schnickschnack wird in diesen Preiskategorien vorausgesetzt. Die Kunst liefern 50 freischaffende KünstlerInnen, unbekannte wie etablierte, die sich einst unter 360 Bewerbern vor einer lokalen Jury Kulturmachender durchgesetzt und die Werke zum Teil eigens für das Hotel entworfen haben. Nun haben die meist jungen Künstler eine Dauerwerbefläche in äußerst solventer Gesellschaft. Dass sie in Hamburg geboren wurden oder dort arbeiten, sei in globalisierten Zeiten ungeheuer wichtig. Es sei ein gezielter Rückbezug zur Region, sagt die Kuratorin Sachse beim kleinen Rundgang durchs Hotel, das fraglos vom Kunstflair profitiert.
Schließlich nähmen die Besucher das Gezeigte nicht nur wahr, manche suchten es geradezu. Weil die Stücke aber nur zum Verkauf stehen, wenn mal eine Etage saniert wird, bilden sie vor allem Links zum Oeuvre ihrer Erzeuger. „Für uns, die Besucher, die ganze Hamburger Kunstszene ist das trotzdem ein Erfolg“, sagt mit Jochen Flinzer einer von ihnen. Auf zwei Hotelebenen hängen seine eigenwilligen Stickereien auf Postkarten und überdimensionalen Opernlibretti. Sie haben dem zugezogenen Harzer schon manch potenziellen Käufer zugeführt.
Dafür liegt in jedem Zimmer ein Katalog zur Mitnahme bereit. Für alle anderen gibt es regelmäßige Führungen. Und auf Anfrage ist die Schau sogar ohne Anleitung zu besichtigen. Nicht gerade in den 284 Zimmern, aber im Rest. Wie in einer normalen Galerie eben, nur dass man für einen gewissen Übernachtungsobolus neben den Werken ganz offiziell einschlafen darf, einschlafen soll. Und das tun viele – die Bettenauslastung beträgt überdurchschnittliche 75 Prozent.
Wie viele der Gäste den künstlerischen Geist dabei tatsächlich einatmen, ist schwer zu sagen; ganz spurlos aber kann er unmöglich an ihnen vorbeiwehen. Selbst ein gestresster Azubi vom Roomservice gesteht, öfter mal vor Werken zu verharren und sich zu fragen, was uns der Künstler damit sagen will, mit geschredderten Kleidungsstücken in Einweggläsern oder einzelnen Pinselstrichen auf Naturaufnahmen.
„Natürlich fällt es auf, wie viel Wert das Hotel auf zeitgenössische Kunst legt“, beteuert der Pharmaunternehmer Jürgen Diemer, während er in einem ausgelegten Kunstband blättert. Das Méridien sei etwas Besonderes, sagt der Stammgast und das Besondere sei ihm wichtig. Kunst brauche Raum und Weite. „Hier kriegt sie beides.“ Trotzdem hat sie es gerade im Hotel ungemein schwer, mehr als Accessoire zu sein. Gerade Häuser dieser Sternzahl sind vor allem Durchgangsstationen, von Geschäftsreisenden auf Firmenkosten lieblos gebucht. Nur selten findet jemand Zeit zum Verweilen wie jenes ältere Paar, das gern für sechs Wochen “seine“ Suite mit Rundblick auf Hamburg bucht. Aus Liebe zur Stadt, wie Friederike von Poser erzählt.
Für solche Gäste verlieren Flure, Zimmer, Säle ihre praktische Stofflichkeit und erhalten das zurück, was Graham Greene, Ernest Hemmingway, Thomas Mann einst darin suchten: Zeit, Offenheit, Inspiration. Die anderen aber gilt es, mit den drei Basisargumenten Luxusfernseher, Luxusbett, Luxusdusche zu gewinnen. Abweichungen nimmt, wer für 500 Euro pro Nacht mit Geschäftsterminen im Rücken sogar das Frühstück sausen lässt, womöglich kaum wahr.
Der Alleinstellungsmerkmale bedarf es dennoch auch hier. Dass sich Pavarotti eine Küche in die Suite setzen ließ und Reiner Calmund stets die geräumige 544 erhält – derlei Service ist längst so wenig der Rede wert wie die Prominentenliste selbst. Liz Hurley hat also schon auf dieser ozeangroßen Matratze geschlafen, neben einer Badewanne mit Löwenfüßen? Ach was.
Nein, im Gedächtnis bleibt eher dies: Hinter einem Raumteiler von Brigitta Höppner zu erwachen, Sandstrahlblumen auf durchleuchteter Scheibe, schön wie der Morgen. Mit dem Lichtschalter den Blick auf eins von Pitt Sauerweins riesigen Farbfotos an der Wand freigeben und kurz nachdenken, warum die Familienszene mit Spielzeugroboter in ihrer Normalität so verstörend wirkt. Zum Bad vorbei an den eisklar, aber unwirklich abgelichteten Alltagsgegenständen hinter Glas von Simon Wassermann. Anziehen an der ins Mobiliar gelassenen Stahlskulptur God is a DJ von Wolf von Waldow. Zum Frühstück den Gang entlang begleitet von Carmen Obersts grinsenden Gesichtern auf vergrößerten Banknoten.
Am Pool, im Restaurant, in der Lobby, selbst im Lift Kunst von heute. So was macht ein Hotel so kostspielig wie unverwechselbar. Unverwechselbarer jedenfalls als noch ein Oscarkandidat auf PR-Trip oder noch ein Whirlpool mehr. Manchmal reicht auch eine alte Tür.