: Das Flüchtlingslager als Falle
EUROPAS GRENZEN Im „Haus der 28 Türen“ auf dem Tempelhofer Feld werden Geschichten von Migranten, die nach Europa kamen, erzählt. Und von denen, die gar nicht bis hierher kommen
VON SONJA VOGEL
Das Tempelhofer Feld ist ein verhältnismäßig freier Ort inmitten der Großstadt, kostenlos, offen. Seit Samstag steht in dieser Großstadtutopie im Kleinen ein runder grauer Pavillon mit 28 geschlossenen Türen. Über den Türen ein nach vorn gebeugtes Gestänge, das an Grenzanlagen erinnert. Die Botschaft ist klar: Hier kommst nur hinein, wem die Türe geöffnet wird.
Die Installation „Das Haus der 28 Türen“ der Berlin-Dresdner Gruppe Bewegung Nurr ist ein Sinnbild für die Festung Europa. Die 28 Türen symbolisieren die 28 EU-Mitgliedstaaten – hinter ihnen ein geschlossener Raum, von dem aus man in den blauen Himmel sieht. Auf dem transparenten Dach weht eine Europafahne: weiße Sterne auf schwarzem Grund.
Lange versuchten die Künstler Florian Göpfert, Alekos Hofstetter und Christian Steuer an Gelder für ihr Projekt zu kommen. Aber erst der Protestmarsch der Refugees 2012 gegen die ihnen aufgezwungenen Lebensumstände, die Hungerstreiks und Besetzungen brachten das Thema in die Öffentlichkeit. Schließlich gab die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Geld. Damit wurden die Videoinstallationen realisiert, in denen Bruno Watara, Sista Mimi und Nzar Saleh, drei nach Deutschland Geflüchtete, von ihren Erfahrungen erzählen.
Grausame Politik
Sista Mimi ist DJ und Musikerin. Mit 17 kam sie aus Kenia, ihr Traum: eine Ausbildung zur Tontechnikerin. „Meine Träume wurden bald zu Albträumen“, erzählt Mimi. Sie versteckte ihre Dokumente, um nicht abgeschoben zu werden, und kam so ins Asylverfahren. Die einzige Möglichkeit, der Isolation des Flüchtlingslagers in Potsdam zu entkommen: „Heirat oder ein Kind“. Als sie im Jobcenter von der Tontechnikerausbildung erzählte, drohte man ihr mit Sanktionen.
Die Geschichte zeigt exemplarisch die Grausamkeit der Flüchtlingspolitik, wie in Deutschland alles getan wird, um die wenigen, die es ins Asylverfahren geschafft haben, systematisch auszugrenzen. Mimis bitteres Resümee: „Bis heute fühle ich mich wie ein Flüchtling, obwohl ich seit 17 Jahren hier bin.“
Die Installationen beleuchten die katastrophalen Bedingungen in den Unterkünften. Bruno Watara, der in Togo politisch verfolgt wurde, erzählt aus dem Niemandsland in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Geflüchteten mitten im Wald über Jahre isoliert bleiben. Es sind diese unmenschlichen Bedingungen, die Dutzende Menschen in den Tod treiben: Über 500 Flüchtlinge sollen seit 1993 in Deutschland gestorben sein: in der Oder ertrunken, in Lkws erstickt oder weil sie sich in Lagern und in Abschiebehaft das Leben nahmen. Im Gras des Tempelhofer Felds liegen Stofftücher mit ihren Namen – soweit bekannt.
Denn die meisten Opfer des europäischen Grenzregimes bleiben namenlos. Es sind Zehntausende, die auf der Überfahrt nach Europa ertrinken und deren Elendsbilder so normal geworden sind, dass sich am Strand von Lampedusa Touristen neben den Körpern der Ertrunkenen sonnen.
Die Mehrheit der Geflüchteten jedoch bleibt auf der Flucht. Und das ist die andere Seite des geschlossenen Europas. Unter dem Titel „Flüchtlingslager als Falle? Das Dilemma der Humanitären Hilfe“ berichteten am Montag Tankred Stöbe und Ulrike von Pilar von Ärzte ohne Grenzen über jene, die es nie hierher schaffen werden – weil sie in den Flüchtlingscamps fernab von Deutschland feststecken. Über sechs Millionen Menschen flüchten allein in und aus Syrien, weitere Millionen im Südsudan und Zentralafrika. Internationale Hilfsorganisationen richten vor Ort Camps ein, um die Menschen notdürftig zu versorgen.
Das größte Lager ist zurzeit Dadaab in Kenia mit einer halben Millionen Menschen – viele leben dort seit 20 Jahren, aus Zelten wurden Hütten, sogar Gebäude. Eine Stadt entsteht, allerdings weitgehend regellos, denn die traumatisierten Menschen bringen ihre Kriege mit – und damit Gewalt. Die Helfer sind davon oft selbst überfordert. Von Pilar findet deutliche Worte für das Versagen auch der eigenen Organisation bei der Versorgung der 1994 vor dem Völkermord in Ruanda Geflüchteten. „Humanitäre Hilfe wurde systematisch in Waffen umgesetzt“, sagt sie. Und so wurden die Organisationen zu Komplizen der Mörder.
Und dennoch: „Flüchtlingslager sind Ziel und Hoffnung für die Menschen“, betont von Pilar. Umso tragischer, dass sie für die meisten eine Falle bleiben. Von Pilar zeigt dazu Bilder von Zehntausenden Hilfesuchenden auf dem Gelände des zentralafrikanischen Flughafens Bangui. Ein ergreifendes Symbolbild, das besonders auf dem Tempelhofer Flugfeld wirkt. Was, wenn hier Hunderttausende Menschen leben müssten? Eine müßige Frage: Dass die gigantischen Elendslager außerhalb Europas bleiben, dafür sorgt auch Frontex.
Programm: www.28doors.eu