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Archiv-Artikel

Intensiv programmierte Maschinen

In Hildesheim probt ein kleines Team des dortigen Stadttheaters das Zweipersonen-Stück „Winter“ von Jon Fosse. Einer der beiden Schauspieler ist der „Gegen die Wand“-Hauptdarsteller Birol Ünel. Der aber legt keinen Wert auf Starberichterstattung – dafür umso mehr auf das Stück

„Du Du Du“, sind die ersten Worte in Jon Fosses Stück „Winter“. „Du Du da Du Ja du. Was bildest du dir eigentlich ein verdammt“

aus HildesheimKLAUS IRLER

Zum Ende dieser Nacht in der Kreuzberger Kneipe stand dann noch die Barfrau auf dem Tisch. Um etwas von der Getränketafel zu wischen, oder etwas draufzuschreiben, man weiß es nicht mehr so genau. Unten am Tisch saßen Birol Ünel und Gero Vierhuff und redeten weiter, durch die Beine der Barfrau hindurch. Ihr Thema war das Theater und die Frage, ob man zusammenarbeiten würde. Ünel, 45, der 2004 in dem Film „Gegen die Wand“ die männliche Hauptrolle spielte, dafür den Deutschen Filmpreis bekam und in der Presse beschrieben wurde als exzessive, schwierige Persönlichkeit. Und Vierhuff, 34, der am Stadttheater Hildesheim das Stück „Winter“ von Jon Fosse inszenieren wollte, ein Zwei-Personen-Stück mit den Rollen „die Frau“ und „der Mann“. Ünel sollte den Mann spielen, die Schauspielerin Göksen Güntel die Frau.

So einer wie Ünel, hatten sich Güntel und Vierhuff vorher gedacht, wäre die Idealbesetzung für die Rolle des Mannes. Denn „Winter“ ist ein atmosphärisches Stück, eines, dessen Intensität nicht an einer Geschichte hängt, sondern aus Situationen heraus entsteht. Eine Herausforderung für die Schauspieler. Dass der Schauspiel-Promi Birol Ünel mitmachen würde, schien trotzdem illusorisch. Aber Ünel wollte, nach über zehn Jahren Abstinz von der Theaterbühne zog es ihn wieder ans Theater. Außerdem habe seine Entscheidung etwas mit dem Stück zu tun: „Ich wollte mich künstlerisch weiterbewegen.“ Ein Einzelinterview über sein Comeback im Theater aber will Ünel nicht geben. Wenn Reden, dann über das „Winter“-Projekt. Mit allen Beteiligten.

Ünel bezog in Hildesheim eine Wohnung, die das Theater für solche Fälle angemietet hat. Vierhuff, der als freischaffender Regisseur in Hamburg lebt, hat gute Kontakte nach Hildesheim, weil er dort studiert hat. Und Güntel ist seit 2005 Ensemblemitglied am Hildesheimer Stadttheater. Was die Sache nicht einfacher macht: Güntel ist fest eingeplant im Programm und muss neben den Proben zu „Winter“ etliche Abende spielen. Zum Beispiel in „Kiss me, Kate“, ein Musical und absolutes Kontrastprogramm zu „Winter“.

Jon Fosses „Winter“ nämlich sieht so aus: Da steht ein Holzkasten mitten im Raum. Der Boden ist bedeckt mit weißen Styroporchips. Der Mann hat einen Gehrock an wie im 19. Jahrhundert und die Frau trägt ein abgewetztes Prima-Ballerina-Kleidchen. Der Mann ist verheiratet und auf Geschäftsreise. Sie gabelt ihn auf und die beiden schlafen miteinander. Aber der Plot liefert bei „Winter“ nur die Folie, auf der ein abstrakteres Thema abgehandelt wird: Es geht um den subtilen Machtkampf zwischen den beiden. Fosse hat dafür die Dialoge reduziert auf Satzfetzen, ständig gibt es Wortwiederholungen, als würden zwei fehlerhaft programmierte Maschinen miteinander sprechen. „Du Du Du“, sind die ersten Worte, „Du Du da Du Ja du“.

Der Text sei wie ein Schachspiel, sagt Vierhuff, mit einer inneren Logik, von der man sich nicht lösen könne. Ünel sagt: „Der Fosse stellt zwei Personen auf die Bühne und behauptet, dass die sich lieben sollen. Aber er schreibt das Gegenteil. Was du auf der Bühne machst, ist ein Widerspruch zu dem, was da geschrieben steht.“ Für Güntel sind es „die Situationen und Konflikte, die die Figuren ausmachen. Die Figuren werden nur dadurch deutlich, wie wir sie spielen.“ Das Stück lässt sich nicht auf eine Formel bringen, das ist klar. Es lässt sich nur immer wieder neu beschreiben. Programm ist, dass das alle Beteiligten tun: Es ging darum, eine gemeinsame Grundidee zu entwickeln, sagt Regisseur Vierhuff. „Ich will schwierige Schauspieler, die mitdenken.“ Und das bedeutet wiederum: Das Projekt ist alles andere als eine kuschelige Angelegenheit.

Sofort versucht man sich vorzustellen, wie das alles gehen mag mit Ünel, von dem in der Presse überliefert ist, er sei „der Heftige“. Jemand, mit dem zwischen Alkohol, rasender Wut und genialen Momenten nicht zu arbeiten sei. In Hildesheim aber ist Ünel nur einer, der wie die anderen an diesem Projekt arbeitet. „Birol war für mich ab der ersten Probe ein ganz normaler Schauspieler“, sagt Vierhuff. „Er gibt sich total Mühe und ist zuverlässig.“

Ünel selbst sagt: „Es ist ein sehr ehrliches Arbeiten. Aber ich wünsche mir mehr Aufmerksamkeit vom Haus.“ Was wahrscheinlich schwierig ist: Finanziell gut geht es dem Stadttheater Hildesheim nicht. Das Theater hat sich deshalb zu einer Fusion mit der Landesbühne Hannover entschieden, die bis September dieses Jahres abgeschlossen sein soll. Die beiden fusionierten Bühne heißen dann „Theater für Niedersachsen“, es wird einen neuen Intendanten geben, neue Strukturen und eine neue inhaltliche Ausrichtung.

Für „Winter“ habe man beschlossen, sich selbst zu organisieren, sagt Ünel. Mit dem Proben- und Aufführungsort im örtlichen Kulturzentrum Kulturfabrik Löseke ist man räumlich sowieso auf einer anderen Schiene. Der Backstage-Raum der Kulturfabrik wird die Garderobe der Schauspieler sein. Dort steht ein Sofa, dem man den harten Gebrauch der letzten Jahre durchaus ansieht. Ünel hat zum Aufhübschen einen Flokati-Teppich mitgebracht. Auch Blumen waren im Gespräch. Aber die zu besorgen, dafür reichte die Zeit nicht.

Premiere am Dienstag, 13.2.07 um 20 Uhr in der Kulturfabrik Löseke, Langer Garten 23, Hildesheim. Weitere Vorstellungen: 17.2., 6.3. und 7.3.