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Archiv-Artikel

Das lange Warten

TUNESIEN In einem kleinen Ort nahe der libyschen Grenze sammeln sich Exillibyer und hoffen auf das Ende des Regimes Gaddafi

BEN GARDANE taz | Es gehört einiges an Fantasie dazu, um das Hotel Palace mit seinem Namen in Verbindung zu bringen. Abgewetzte grüne Sessel und runde Holztischchen zieren die Eingangshalle der besten Adresse in Ben Gardane, dem letzten Städtchen vor der tunesisch-libyschen Grenze. Hier treffen sich jeden Tag Exillibyer, die von überall her angereist sind. Ununterbrochen starren sie auf die Wand gegenüber, wo zwischen Rezeption und der Tür zum Frühstücksraum ein riesiger Plasmafernseher hängt. Es läuft al-Dschasira – 24 Stunden am Tag.

„Wir wollen rüber, sobald es geht. Helfen!“, sagt Ali Aban aus Gießen. Seit 22 Jahren lebt er in Hessen, verkauft Autos und besitzt mittlerweile auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Sein Freund neben ihm stellt sich als Idris Boufayed vor. Auch er lebt im Exil, in Lausanne in der Schweiz. Andere kommen aus Kanada, Irland, dem Vereinigten Königreich, Qatar. Kein Weg war ihnen zu weit, um dabei zu sein, wenn „Gaddafi endlich fällt“.

Die Stimmung schwankt zwischen überschwänglichem Optimismus und tiefer Sorge, je nach Nachrichtenlage. Alle erzählen sich ihre Geschichte. Der heute 48-jährige Ali Aban musste aus Tripolis fliehen, nachdem er mit Freunden Flugblätter gegen Gaddafi verteilt und Parolen gemalt hatte. Zwei Brüder von ihm wurden verhaftet, misshandelt und wanderten für sechs Jahre hinter Gitter. „Ich habe in all den Jahren kaum Kontakt mit meiner Familie gehabt“, berichtet er.

Am Anfang schickte Aban hin und wieder einen Brief oder ein Päckchen, bis er mitbekam, dass sie abgefangen wurden und seine Angehörigen Besuch von der Staatssicherheit bekamen. „Dann stellte ich das ein.“ Als er am 23. Februar nach Südtunesien kam, hoffte er seinen kranken Vater bald wieder in die Arme schließen zu können. „Gestern habe ich die Nachricht bekommen, dass er verstorben ist.“

Die meisten Anwesenden bitten darum, nicht namentlich genannt zu werden. Nur Idris Boufayed kennen alle hier. Der 53-jährige Arzt und Menschenrechtler ist für sie ein Held. Boufayed flüchtete 1989 aus Libyen und erhielt in der Schweiz Asyl. „2006 sah es so aus, als würde sich das Land etwas öffnen“, erklärt er, warum er damals in seine Heimat zurückkehrte. Er rief mit anderen zu einer Demonstration auf dem Grünen Platz in Tripolis auf und wurde 2007 wegen „Umsturzversuchs, Waffenbesitzes und Zusammenarbeit mit feindlichen Mächten“ zu 25 Jahren Haft verurteilt. Auf internationalen Druck kam der an Krebs Erkrankte frei und durfte in die Schweiz ausreisen.

„Eine Flugverbotszone wäre gut“, erklärt Boufayed. „Denn ohne schwere Waffen und Luftangriffe ist Gaddafi in ein paar Tagen erledigt. Anderenfalls kann es Wochen oder Monate dauern.“ Ali Aban, der davon träumt, im neuen Libyen einen Radio- oder Fernsehsender aufzubauen, hat als Ersten die Geduld verlassen. Er packte am Sonntag seine Koffer: „Ich will kurz zurück nach Deutschland und dann entscheiden, ob ich über Ägypten in den befreiten Osten einreise.“ Die anderen schwanken noch zwischen weiter warten oder es ihm gleichtun. REINER WANDLER