: Ohne Staub und Suppe
Facetten der Architekturfotografie und ästhetische Propaganda: Der internationalen Foto-Ausstellung zum Spektakel Stadt im NRW-Forum fehlt es an Blicken auf das urbane soziale System
VON KATJA BEHRENS
Hochglanz-Fotos von bewohnten Orten haben dazu beigetragen, das Image der modernen Großstadt und ihrer Ränder zu kreieren und die gebaute Wirklichkeit vor allem unter Maßgabe ästhetischer Kriterien zu konstruieren. Diese These wird von den rund hundert Fotografien in der Ausstellung „Spectacular Cities“ in Düsseldorf, die vom Netherlands Architecture Institute in Rotterdam kuratiert wurde, bestätigt. Es lässt sich in den Räumen des NRW-Forum auch viel lernen zum Stand der gegenwärtigen Wahrnehmungstechnologien: Doch über die Stadt als soziale Gemeinschaft, über das Leben, das Verhalten und die urbanen Rituale erfährt der Ausstellungsbesucher hingegen nur wenig.
In den hochglänzenden, oft großformatig und edel gerahmten Fotografien wird die urbane Lebenswelt eher vermessen und zugerichtet. Analysiert wird sie so gut wie nicht. Die Bilder zeigen lieber minimalistisch streng gegliederte Fassaden gigantischer Hochhäuser oder das ‚all over‘ einer wild wuchernden Slum-Landschaft. Sie zeigen leere Fensterhöhlen im Beton oder serielle Reihungen von Flurtüren und Glasfenstern. Bunte Liniengitter, konstruktive Bauelemente und dynamische Schattenlinien, verschachtelte Kubenhäuser – die Muster auf einer Hauswand. Dazu vielleicht noch die belebten und die unbelebten, die hellen und die dunklen Stellen der Städte. Viele der Fotografien beziehen sich dazu noch auffällig auf historische Vorbilder der älteren Fotokunst und der Malerei, denen sie zumindest strukturell und mitunter auch motivisch angenähert sind.
Wer sich als Betrachter ein bisschen auskennt, kann häufig erkennen, wo ein Foto ungefähr gemacht worden ist. Denn auch wenn die moderne Architektur regionale Stile zu Gunsten einer Einheitsästhetik immer unsichtbarer macht, lässt sich die politische und wirtschaftliche Landkarte an den Städten und dem Zustand der Architektur doch recht deutlich ablesen. Rund um den Globus reisen die Fotografen heute, um ein bislang noch nicht fotografiertes Stück bebauter Lebenswelt, einen möglichst spektakulären Platz zum Kunst-Bild zu erheben. Oder sie zeigen einen längst bekannten Ort aus einem neuen Blickwinkel, wie etwa der italienische Fotograf Olivo Barberi, der seine Luftaufnahmen von Las Vegas allein durch den selektiven Fokus, den er wählt, wie Bilder von kleinen bunten Modellen aussehen lässt.
Die Spielerstadt in der Wüste sieht da aus wie ein Spielzeug. Es gibt nur wenige Fotografen, die, wie Edgar Cleijne in Lagos oder Thomas Struth in Lima, die Stadtarchitektur „von hinten“ zeigen und damit sowohl architektonische als auch soziale Strukturen offen legen. Doch die zerfallenden, zerlumpten backstage-Stadträume, in denen niemand sich so richtig heimisch fühlen kann und soll und in denen doch ein Großteil der Weltbevölkerung leben muss, sind längst von den sozial engagierten Dokumentationen früherer Fotografengenerationen romantisch verklärt und stilisiert worden.
Heute – so scheint es – müssen sich die Bilder der Städte immer zuerst formal ästhetisch legitimieren. Viele der Fotokünstler gehen daher auf Distanz zu ihrem Objekt – wie Taiji Matsue, Naoya Hatakeyama, Balthasar Burkhard, Sze Tsung Leong oder Vincenzo Castella – oder sie gehen so nahe dran, dass nur noch deren Geometrie übrig bleibt (Heidi Specker). Und Oliver Boberg und Edwin Zwakman fotografieren, wie Thomas Demand auch, lieber gleich die aus der Erinnerung nachgebauten Modelle der hässlichen Rückseiten und banalen Winkeln. Es riecht dann höchstens nach Leim – und nicht nach Armut, Staub oder Erbsensuppe.
Ohne Frage: Es gibt sehr unterschiedliche Motivationen für die fotografische Erforschung der Stadt. Das Spektrum reicht von der Feier einer heroischen Moderne bis zur sozialpolitisch engagierten Dokumentation. Über Einschluss- und Ausschlussmechanismen verfügen freilich beide. Die naive Auffassung, dass in der Architektur- und Stadtfotografie mit der Kamera allein die gebaute städtische Lebenswelt aufgezeichnet und dokumentiert wird, hat sich längst als Mythos entpuppt. Viele der neuen Kunst-Fotografien entstehen mit Hilfe digitaler Manipulation. Schon aus diesem Grunde sollten die Kräfte der Spezialisierung und Separierung, die das fotografische Bild besitzt, nicht übersehen werden. Die propagandistische Wucht der atemberaubenden Fotografien Andreas Gurskys etwa ist nicht nur überwältigend, sondern auch erschreckend; vielleicht weil sie so machtvoll affirmativ wirken. Und somit keineswegs unpolitisch sind.
Bis 6. Mai 2007Infos: 0211-8926681
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