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Archiv-Artikel

Manga wird Propaganda

Auch als Designjunkie will der Künstler Tilo Schulz unbedingt kritische Inhalte verhandeln – was ihm in seiner Ausstellung „formschön“ in der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig auch gelingt

VON SUSANNE ALTMANN

Die lange Schaufensterpromenade der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig ist immer für eine Überraschung gut. Vor einiger Zeit wurden die Passanten mit dem Schriftzug „Der Sozialismus siegt“ verstört, den Via Lewandowsky aus dem verblichenen DDR-Alltag hierher kopierte. Nun zeigt sich die Glasfassade von einer weißen Tüllgardine verhüllt – wohnlich und züchtig zugleich. Die großen Gesten spart sich Tilo Schulz für drinnen auf.

Der gebürtige Leipziger (*1972) hat sich in dem flachen Pavillon ein Heimspiel organisiert. Er ist der erste Künstler, der den 2004 eröffneten Neubau des Berliner Architekturbüros AS-IF ganz allein bestücken darf. Das eingeschossige Gebäude lässt sich durch verschiebbare Wände beliebig verwandeln und Schulz hat sich für eine labyrinthische Streckenführung entschieden. Auf diese Weise liegen der erste und der letzte Ausstellungsraum schließlich Wand an Wand und sind nicht nur durch einen schmalen Schlitz in Fußbodennähe miteinander verbunden. Zusätzlich durchbricht eine minimalistische Stahlrohr-Skulptur die Trennwand, um auf der anderen Seite als simples Regalsystem wieder aufzutauchen. In dieser Mutation des autonomen Kunstwerks zum Gebrauchsgegenstand zeigt sich bereits Schulz’ ehrgeizige Mission. Die heißt: Versöhnung von Kunst und Design. Oder doch eher Versöhnung von Dekor und Gesellschaftskritik? Oder von Autonomie und Funktion? Die Richtung ist jedenfalls klar, auch wenn sich der museale und diskursive Parcours bisweilen ein wenig schlängelt.

Schon seit Jahren frönt Schulz seiner Vorliebe für die schöne Form, sei es als Gebrauchsgegenstand oder als künstlerische Abstraktion. Er entwirft Tapeten, Sitzecken, Wandgemälde, gerne auch im stromlinienförmigen Retroflair. Damit allein nähme er sich wie eine aktuelle Version der 1990er-Wohnkunst à la Jorge Pardo oder Tobias Rehberger aus. Doch Schulz will unbedingt kritische Inhalte verhandeln – auch als eingestandener Designjunkie und ambitionierter Produktgestalter. Seine Installationen sollen politische Gefüge, kulturelle Machtspiele und eingefahrene Geschlechterrollen kritisieren oder nachspielen, als Ornament. Abgelenkt von dessen schönem Schein, haben es die Besucher, die an schwarzweißen Wandmalereien, Glasziegelwänden und Holztäfelungen vorbeiflanieren, freilich nicht immer leicht, die angestrebten politischen Statements zu identifizieren.

Am Anfang steht jedenfalls eine Art historischer Rückblick auf die ideologischen Grabenkämpfe der 1950er-Jahre. Stellvertretend für die aussagenferne Kunst des Westens wachsen daher kühle, zweckfreie Metallobjekte aus OP-artig flirrenden Wandgemälden. Bevor es allerdings zur sozialistisch-realistischen Pinselarbeit des Ostens weitergeht, erhebt sich symbolträchtig eine wahrhaftige Mauer – immerhin aus Glasbausteinen. Sie trennt nicht nur elegant zwischen den Systemen und Kunstauffassungen, sondern belegt einmal mehr des Künstlers Lust an trendigen Materialien.

Hinter der Mauer – logisch – ist es endlich so weit: Finster drohen fast vergessene Verdikte wie „Der Formalismus ist die typische Erscheinungsform der künstlerischen Dekadenz in der Epoche des Imperialismus“ und „Der Formalismus bedeutet Zersetzung und Zerstörung der Kunst selbst.“ Doch anstelle Bildreferenzen zum kommunistisch-figurativen Kunstkanon zu zitieren, lässt Schulz diese Informationen von japanischen Kult-Comics verbreiten. So viel Figuration darf es dann doch sein.

Durch diesen Kunstgriff vermeidet er geschickt illustrative Didaktik. Doch eigentlich lenken die anmutigen Mangas etwas vom Thema ab. Das bekommt noch einen abschließenden Böllerschuss oder vielmehr zahllose kleine Kugeln. Der witzige Holzperlenvorhang mit eingearbeitetem Schriftzug „Cold War“ löst das Dilemma der konkurrierenden bildnerischen Weltanschauungen einigermaßen spielerisch auf.

Doch im Grunde sind die alten Feindbilder immer noch aktuell – besonders im Leipziger Kunstklima, das Tilo Schulz mit dieser Thematik denn auch aufs Korn nimmt. Denn bei näherer Betrachtung scheint die so genannte Neue Leipziger Schule figurativer Malerei in kollektiver Angst vor eindeutigen Handlungen oder gar kritischen Inhalten erstarrt zu sein. Ist es noch immer der dräuende Propagandavorwurf aus den Tagen des Kalten Kriegs, der diese unzähligen neosurrealen und pseudometaphysischen Figurationen verursacht?

Ob ornamental-abstrakt oder figurenlastig, auch Tilo Schulz selbst hat offensichtlich Freude an „klassischer Macho-Malerei“, wie er sie nennt. Schließlich malt er seine monumentalen Fresken enthusiastisch in Handarbeit. Doch letztlich – und das gehört zu seinem Konzept der Subversion – unterwandert er diese viril-visuellen Machtgesten wieder. So handelt es sich bei den anverwandelten Mangas eben nicht um jene mit den üblichen Helden- und Sexstorys, sondern um eine Hommage an die japanische Zeichnerin Kiriko Nanana, deren sensible Bildgeschichten überwiegend von Mädchen und Frauen handeln.

Noch besser, weil offensichtlicher, funktioniert die freche Infiltration von Geschlechtermodellen dann am Schluss der Ausstellung. Auch hier dominieren wieder die geometrische Wandgestaltungen und sachliche Metallrohre der Eingangszone. Nur fungieren sie hier nicht mehr als L’art pour l’art, sondern als dienende Kulisse: als Tapete und Regale für eine zauberhafte Soloshow – Tilo Schulz featuring Ursula Fesca (1900–1975). Auf etwa 90 Quadratmetern zeigt er Gebrauchskeramik der begnadeten Designerin, die bereits 1932 mit ihrem Teegeschirr „Haarlem“ internationale Erfolge feierte.

In den 1950er-Jahren entwarf Fesca dann für die Firma Wächtersbach das Vasensortiment Pisa und holte damit den Formalismus von der Leinwand ins Wohnzimmer. So sieht es jedenfalls Tilo Schulz. Und wenn er die Gefäße auch nicht gleich als Symptom von weiblichem Rebellentum interpretiert, so sieht er sie doch zumindest als Gegenentwurf zur damals herrschenden Männerkunst. Dass die zerbrechlichen Stücke dabei sowohl seinem eigenen wie auch dem heutigen Zeitgeschmack entsprechen, ist nur willkommen. Ganz im Sinne von kritischem Design. Oder dekorativem Feminismus. Zum Glück versteht Tilo Schulz Spaß.

Bis 8. April, Katalog 18 €,www.gfzk.de