: Natürlich gesund? Test ist Pflicht
Auf der Vivaness werden Naturheilmittel, Nahrungsergänzung und Medizinprodukte präsentiert. Das boomende Segment „Naturapotheke“ ist eine Ergänzung zur „Schulmedizin“. Die EU setzt zur Bewerbung der Produkte enge Grenzen
VON SOPHIE DIESSELHORST
Man findet sie in Drogerien, Apotheken und Supermärkten. Sogar Discounter wie Aldi und Lidl haben sie im Sortiment: natürliche Heilmittel, die einen gesund machen und vor allem gesund halten sollen. Schwarzkümmelölkapseln, die laut Verpackung das Abwehrsystem stärken und einem neue Energie verschaffen, Franzbranntwein, der bei Zerrungen und Verstauchungen helfen soll, und natürlich eine riesige Palette von Heilkräutertees, die gegen fast alle Beschwerden helfen, die man sich so vorstellen kann – glaubt man dem Beipackzettel. Und dem glauben viele. „Es kommen immer mehr Menschen zu mir in die Apotheke, die möglichst „etwas Natürliches“ wollen“, bestätigt der Berliner Apotheker Ralf Wittenbröker. „Vor allem seit der Einführung der Praxisgebühr. Viele schrecken nun davor zurück, zum Arzt zu gehen. Sie gehen stattdessen in die Apotheke oder in die Drogerie und kaufen rezeptfreie Naturheilmittel.“
Oft verstecken sich hinter den Kapseln und Tees traditionelle Hausmittel. „Bei Erkältung Salbeitee zu trinken, hilft schon – zumindest erst mal“, sagt Ralf Wittenbröker. Doch es passiere immer öfter, dass Leute mit völlig vereitertem Hals in seine Apotheke kämen und sich nur mit Salbeitee kurieren wollten. „Denen rate ich dann doch, zum Arzt zu gehen und sich etwas ‚Richtiges‘ verschreiben zu lassen.“
Dem stimmt Stefanie Binnewies zu. Sie ist Produktmanagerin bei Fitne Health Care, einer der 67 Firmen, die sich auf der Vivaness im Bereich „Naturapotheke“ präsentieren. „Manchmal müssen es eben Antibiotika sein“, sagt Binnewies. Eine Alternative zur Schulmedizin seien Naturheilmittel nicht. „Aber eine wertvolle Ergänzung – die den Körper zum Beispiel nach der Einnahme von Antibiotika wieder ins Gleichgewicht bringen kann.“ Stefanie Binnewies beobachtet, dass vor allem die Nahrungsergänzungsmittel boomen. Doch sie warnt vor einem populären Missverständnis: „Nahrungsergänzungsmittel ersetzen keine gesunde Ernährung. Sie können nur dann wirken, wenn man auch sonst eine bewusste Lebensweise pflegt.“
Die Produkte von Binnewies’ Firma Fitne Health Care entsprechen der EG-Bioverordnung. Sie sind nicht synthetisch und ohne gentechnisch veränderte Organismen hergestellt. Reiner Claus vom Zertifizierungsunternehmen BCS Öko Garantie berät die Messen Biofach und Vivaness, welche Unternehmen sie zulassen können. „Im Gesundheitsbereich gibt es keine harten Richtlinien“, sagt er. Er richtet sich deswegen für seine Empfehlungen nur nach der EG- Bioverordnung. Die angebliche Wirkung der Heil- und Nahrungsergänzungsmittel wird nicht getestet, bevor sie auf der Messe präsentiert werden dürfen. Und auch außerhalb der Messe müssen Naturheilmittel nicht auf ihre Wirkung überprüft werden, bevor sie auf den Markt kommen. Gütesiegel, wie es sie für Naturkosmetik und Biolebensmittel gibt, existieren im Bereich der Naturheilmittel noch nicht. So ist es bisher schwierig gewesen, das Quacksalberische vom Seriösen zu unterscheiden.
Seit Beginn dieses Jahres gibt es jedoch zumindest für die Werbung gewisse Einschränkungen. So müssen nach einer neuen EU-Regelung Unternehmen, die die gesundheitsfördernde Wirkung ihrer Produkte in der Werbung anpreisen, diese Wirkung vorher mit wissenschaftlich anerkannten Methoden beweisen – entweder durch bereits existierende wissenschaftliche Literatur oder durch eine neue klinische Studie. Der Nachweis ist in Zukunft notwendig, um eine Wirkung auch nur andeuten zu dürfen.
Solch einen Test würden nach Ansicht von Hans-Jörg Freese nur wenige der Naturheilmittel auf dem Markt bestehen. Freese ist Sprecher der Bundesärztekammer. Die Institution steht dem Boom der Naturapotheke kritisch gegenüber. „Es gibt im Bereich der Naturheilmittel viele Präparate, deren Unwirksamkeit erwiesen ist“, sagt Freese. In einem Statement der Bundesärztekammer zu „außerhalb der wissenschaftlichen Medizin stehenden Methoden der Arzneitherapie“ heißt es: „Erst mit dem Instrumentarium der wissenschaftlichen Medizin ist eine in ihrer Wirksamkeit gesicherte Behandlung ernsthafter Erkrankungen möglich geworden.“ Den therapeutischen Wert der wissenschaftlich belegten Methoden der Schulmedizin hätten große Studien belegt, was auf die meisten alternativen Heilmethoden nicht zuträfe.
Trotzdem nimmt auch Hans-Jörg Freese nicht sofort Antibiotika, wenn er erkältet ist – sondern trinkt erst mal Salbeitee. „Manche der natürlichen Heilmittel haben sich einfach über Jahrhunderte bewährt und sind durchaus eine willkommene Ergänzung zur Schulmedizin“, schränkt er sein Urteil ein. Doch völlig auf die Naturapotheke verlassen solle man sich nicht.