: Öko ist vielen Biokunden egal
90 Prozent der Deutschen kaufen ab und zu Bioprodukte. Die Discounter haben einen immer größeren Marktanteil. Auch Fertigmahlzeiten werden verstärkt in Ökoqualität gekauft. Die meisten Kunden sind mit Mindeststandards zufrieden
VON ANNETTE JENSEN
Lang ist es her, seit hinterm Bioladentresen vor allem Ökoaktivisten und Studenten standen. Inzwischen setzt die Branche in Deutschland über 4 Milliarden Euro um und hat die Nische verlassen. Die Mehrheit der 160.000 Menschen, die ihr Geld mit der Erzeugung, Verarbeitung oder dem Vertrieb von Ökoprodukten verdienen, sind Profis.
Die Käuferschaft hat sich ebenfalls gewandelt. 90 Prozent aller Haushalte in Deutschland hat im vergangenen Jahr mindestens ein Bioprodukt in den Wagen gelegt, wie die Gesellschaft für Konsumforschung herausgefunden hat. Der Gelegenheitskauf ist zum Massentrend geworden. „Viele Biokunden schieben heute gern mal eine Tiefkühlpizza in den Ofen. Die Nachfrage nach Fastfood steigt deutlich“, berichtet Stefanie Neumann von Alnatura. Ihre Firma hat etwa 700 Biopodukte im Sortiment und betreibt zudem 30 der insgesamt etwa 360 Biosupermärkte in Deutschland. „Außerdem sind Naturkostläden nur dann konkurrenzfähig, wenn es dort zum Beispiel Frühkartoffeln aus Ägypten zum gleichen Zeitpunkt gibt wie in konventionellen Geschäften“, ist Neumann überzeugt. Woher die Ware kommt und wie viele Klimagase für den Transport in die Luft geblasen wurden, ist einem Großteil der Kunden mittlerweile egal. Und so gibt es in vielen Bioläden Bioäpfel aus Chile, Trauben aus Südafrika und Erdbeeren im Winter. Zugleich listen immer mehr Discounter und große Lebensmittelketten Bioprodukte. Bereits 2005 hatten sie einen Marktanteil von 41 Prozent – Tendenz deutlich steigend. Viele Drogeriemärkte haben inzwischen ebenfalls Biotees und -säfte im Angebot. Dagegen spielen Wochenmärkte, Hofläden und Reformhäuser eine schwindende Rolle. „Es gibt inzwischen zu viele Player auf dem Markt, und deshalb sind über kurz oder lang Skandale zu erwarten“, befürchtet Michael Radau, Vorstandssprecher des Verbands der Biosupermärkte.
Die Biobranche lebe vom Vertrauen der Verbraucher. Wo es nur darum gehe, den Trend zu nutzen, um schnell Geld zu verdienen, werde es gefährlich, ist Radau überzeugt. Deshalb versucht Demeter als ältester Bioverband, die Qualität in den Vordergrund zu rücken. „Das EU-Siegel ist Normalnull-Bio, und da kann man erst einmal nicht meckern“, sagt Sprecherin Renee Herrnkind. Wer dagegen Demeter kaufe, könne sicher sein, dass die Tiere ausschließlich Biofutter fräßen, die Säfte nicht aus Konzentrat hergestellt würden und keinerlei künstliche Aromen in den Lebensmitteln stecken. Jeder Demeter-Hof sei zudem ein „Organismus“, bei dem der Mist der Tiere als Dünger für Getreide und Gemüse eingesetzt werde. Etwa 5 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Deutschlands werden heute von Biobauern beackert. Viele von ihnen entschlossen sich zur Umstellung, nachdem im Jahr 2001 der Rinderwahnsinn die Schlagzeilen beherrscht hatte und die Nachfrage nach Bioprodukten um 30 Prozent in die Höhe schnellte.
Als sie dann endlich nach drei Jahren ihre Waren als „bio“ deklarieren durften, sahen sie sich zunächst mit einem deutlichen Preisverfall konfrontiert, weil der Absatz stagnierte. Doch seit 2004 geht es mit der Nachfrage wieder aufwärts, und inzwischen wird die Ware knapp. „Seit etwa einem halben Jahr steigen endlich auch die Erzeugerpreise“, berichtet Felix Prinz zu Löwenstein, Geschäftsführer beim Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW).
Für einen Liter Milch bekommt ein Biobauer etwa 32 Cent – sein konventionell arbeitender Nachbar dagegen nur 25 Cent. Allerdings hat der Biobauer am Ende wahrscheinlich dennoch weniger in der Kasse: Schließlich gibt eine durchschnittliche Biokuh nur 15 Liter am Tag, während manche Hochleistungstiere mit Kraftfutter zu 38 Liter am Tag getrieben werden. Außerdem benötigt der Biolandbau bezogen auf die Fläche 34 Prozent mehr Personal als die industrielle Landwirtschaft, wie aus dem agrarpolitischen Bericht der Bundesregierung hervorgeht.
Relativ gering sind die Preisunterschiede mit 10 bis 20 Prozent bei Getreide. Dagegen sind Biofleisch und Eier etwa doppelt so teuer wie konventionelle Ware. Wer Tiere mit Hochleistungsfutter mästet, sie in enge Käfige quetscht und ihnen dadurch fast jede Bewegungsmöglichkeit raubt, kann schließlich wesentlich schneller große Masse liefern als ein Bauer, der auf artgerechte Haltung setzt.
Etwa 10.000 Betriebe arbeiten inzwischen in Deutschland nach den Kriterien eines Bioverbands wie Demeter oder Bioland, weitere 7.200 erfüllen den EU-Biostandard. Hätten die Bundesländer in den vergangenen Jahren die Umstellungsprämien nicht ausgesetzt, könnten es noch deutlich mehr sein. Nur in Niedersachsen, Bayern und Thüringen gab es kontinuierlich Hilfen für Landwirte, die ihre Produktion giftfrei gestalten wollen. Seit Beginn des Jahres bieten zwar alle Länder außer dem Saarland wieder Umstellungshilfen an – doch die liegen 10 bis 50 Prozent unter den früheren Beihilfen. „Doch immerhin gibt es jetzt endlich wieder Planungssicherheit“, sagt Prinz zu Löwenstein und hofft auf weiterhin zweistellige Wachstumsraten.