: Der Schächter von Hessen darf weitermachen
Das Bundesverwaltungsgericht erlaubt es islamischen Glaubensgemeinschaften, Tiere ohne Betäubung zu schlachten
FREIBURG taz ■ Der Tierschutz hat auch nach der Verankerung im Grundgesetz keinen Vorrang vor der Religionsfreiheit. Muslimische Metzger dürfen deshalb weiterhin schächten, das heißt betäubungslos schlachten. Dies entschied gestern das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
Auslöser des Rechtsstreits war der 38-jährige Rüstem Altinküpe, der im hessischen Aßlar (bei Wetzlar) ein muslimisches Schlachthaus unterhält. Bis 1995 durfte er dabei so schlachten, wie es nach seiner Auffassung der Koran vorschreibt: Dem Tier wird ohne Betäubung mit einem scharfen Messer die Kehle durchgeschnitten, um es dann ausbluten zu lassen.
Ab 1995 versagten ihm die Behörden die Genehmigung, denn eigentlich ist das Schächten in Deutschland grundsätzlich verboten. Eine Klausel im Tierschutzgesetz erlaubt das Schlachten ohne Betäubung jedoch, wenn eine religiöse Verpflichtung besteht. Ab 1995 konnten sich nur noch Juden auf diese Vorschrift berufen, weil die Regeln in der islamischen Welt uneinheitlich sind. Im Januar 2002 kam dann die Wende. Das Bundesverfassungsgericht ließ es genügen, wenn der Metzger einer Gemeinschaft „innerhalb des Islams“ angehört, die das Schächten vorschreibt.
In Deutschland halten beide großen Dachorganisationen, der Zentralrat der Muslime und der Islamrat, das Schächten für eine Glaubensverpflichtung. Die Karlsruher Richter wollten mit ihrem Urteil auch das illegale Schlachten im Hinterhof zurückdrängen. Nur kurze Zeit später, im Juli 2002, wurde jedoch der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert – wobei wohl manche Abgeordneten hofften, damit das Schächten generell verbieten zu können. Der hessische Lahn-Dill-Kreis verweigerte nun erneut die Ausnahmegenehmigung für Altinküpe. Die Gewichte hätten sich zugunsten des Tierschutzes verschoben. Doch vor Gericht blieben die Hessen in allen Instanzen ohne Erfolg. Auch das Bundesverwaltungsgericht sprach Altinküpe nun den Anspruch auf eine Genehmigung zu. Auch nach der Verfassungsänderung sei das Tierschutzgesetz unverändert geblieben. Die dort vorgesehene religiös begründete Ausnahme vom Schächtverbot dürfe nicht leerlaufen, so die Leipziger Richter. Schließlich sei auch die Religionsfreiheit weiterhin im Grundgesetz geschützt.
Altinküpe hatte mehrere hundert eidesstattliche Versicherungen von Kunden vorgelegt, die den Verzehr geschächteten Fleisches als Glaubensgebot betrachten. Wie der Verkauf seines Fleisches beweise, werde diese Gebot auch im Alltag praktiziert, argumentierte der Metzger. Ob das Schächten tatsächlich gegen den Tierschutz verstößt, ist bislang ungeklärt. Der Zentralrat der Muslime argumentiert, dass das Tier beim Durchschneiden der Kehle binnen Sekunden das Bewusstsein verliere und damit auch das Schmerzempfinden. Der Tierschutzbund lehnt das Schächten dagegen generell als Tierquälerei ab und fordert eine Kurzzeitbetäubung der Tiere, da der Sterbevorgang „bis zu 35 Sekunden“ dauern könne. Für derartige Fälle hält aber auch Altinküpe ein Betäubungsgerät bereit. CHRISTIAN RATH