: „Ein kultureller Boom“
DISKUSSION Auch in Marseille ringen soziale Bewegungen um die Entwicklung der Stadt
■ 29, lebt seit drei Jahren in Marseille und promoviert über die Bedeutung von Kunst und Kultur für die dortige Stadtentwicklung.
taz: Herr Kerste, Sie untersuchen die Bestrebungen der Stadt Marseille, im Wettbewerb der Städte um Investoren, kluge Köpfe und Touristen voranzukommen. Inwiefern lassen sich Marseille und Hamburg vergleichen?
Ben Kerste: Es sind beides Hafenstädte und Städte, die in den 1960er und 70er Jahren Abwanderung erlebt haben. Beide haben versucht, der Krise zu begegnen: In Hamburg war es Klaus von Dohnanyi mit der Idee, man müsse eine Stadt wie ein Unternehmen führen. In Marseille gab es in den 1980ern eine neue Kulturpolitik, um dem schlechten Image der Stadt entgegenzuwirken: Der Bürgermeister hat den Kulturhaushalt verdoppelt. Plötzlich gab es einen kulturellen Boom, viele Künstlerkollektive. sind nach Marseille gegangen.
Wie wirkt das Hamburger „Recht auf Stadt“-Netzwerk auf Sie im Vergleich zur Szene in Marseille?
In beiden Städten gibt es viele Akteure und Netzwerke. In Hamburg gelingt es mehr, diese Netzwerke und Akteure zusammenzubringen. Dadurch gewinnt man mehr Diskurshoheit in der Stadt.
Trotzdem wirkt es so, als seien die Hochzeiten der „Recht auf Stadt“-Bewegung vorbei.
Man kann es auch als Erfolg definieren, dass es Recht auf Stadt überhaupt geschafft hat, so lange zu bestehen, auch wenn es nicht mehr den Elan hat wie am Anfang. Das hat viel mit Prekarisierung zu tun: Die Gruppen machen ihre Arbeit ja ehrenamtlich.Wie reagiert die Hamburger Politik auf die Versuche, Einfluss zu nehmen?
Sie setzt auf Zeit und blutet solche Bewegungen damit aus. Die SPD hatte die privilegierte Position, sich das erstmal aus der Distanz anzuschauen. Mit dem 1/3-Mix in der Wohnungspolitik hat sie dann geschickt darauf reagiert: Sie hat versprochen, bei Neubauvorhaben soll immer ein Drittel Sozialwohnungen entstehen.
Was würde die Attraktivität Hamburgs im Wettbewerb der Städte erhöhen?
Hamburgs Strategie ist, mit Events auf die Attraktivität nach außen zu setzen. Aber Hamburg muss die Attraktivität nach innen stärken. Zum Beispiel fallen die Sozialwohnungen beim 1/3-Mix nach 15 Jahren aus der Mietbindung. Hamburg braucht bessere Bedingungen für Leute an der Armutsgrenze in Sachen Mobilität, Zugang zu Bildung und bezahlbarem Wohnraum. INTERVIEW: KLI
Vortrag von Ben Kerste zur Stadtentwicklung in Marseille: 19 Uhr, Centro Sociale