: Strukturwandel in der Öffentlichkeit
Viele große Worte und ein möglicher Umgehungstatbestand: Die Fronten sind verhärtet in den juristischen und publizistischen Auseinandersetzungen um den Suhrkamp Verlag. Die Autoren jedenfalls, beim Büchermachen ja auch nicht unwichtig, halten in dieser Krise offensichtlich zu ihrer Verlegerin
VON CHRISTOPH SCHRÖDER
Warum dieser Aufruhr? Wenn sich in einem anderen deutschen Verlag die Eigentumsverhältnisse verschieben, interessiert das außerhalb der Branche niemanden, noch nicht einmal, als beispielsweise vor einigen Jahren Random House durch die Übernahme der Ullstein/Heyne/List-Gruppe ein Kartell aufzubauen drohte, das für den durchschnittlichen Buchkäufer durchaus Auswirkungen gehabt hätte. Doch der Suhrkamp Verlag gilt als öffentliches Kulturgut, als Teil der geistigen Sozialisierung der Bundesrepublik, der alten Bundesrepublik, von deren Kindern der kulturelle Diskurs nach wie vor geprägt wird.
Wenn es in Suhrkamp rumort, wird das umgehend zu einer öffentlichen Angelegenheit, weil der Suhrkamp Verlag selbst, nicht zuletzt durch die Erfindung der Regenbogen-Reihe edition suhrkamp, die geisteswissenschaftliche Theorie in die Öffentlichkeit getragen und für jeden nutzbar gemacht hat. Das Phänomen der allgemeinen Suhrkamp-Erregung ist in besonderem Maße seit dem Tod von Verleger Siegfried Unseld im Jahr 2002 zu beobachten. Seitdem kommt der Verlag nicht zur Ruhe; die Geschichte ist bekannt, in vielen Varianten erzählt, gibt alles her, was ein klassisches Drama braucht, inklusive böser Stiefmutter und verstoßenem Sohn, und ist in der Hauptsache ein Resultat der hochkomplexen Eigentumsverhältnisse, die sich einerseits aus der Geschichte des Verlags ergeben, andererseits von Siegfried Unselds Anwalt in dieser Form ganz bewusst konzipiert wurde.
Diese Besitzverhältnisse sind es, die den Krieg (keine Übertreibung!) der vergangenen Wochen erst möglich gemacht haben. Denn der Schweizer Rechtsanwalt Andreas Reinhart hat seine Holding, die 29 Prozent der Verlagsanteile hält, aufgesplittet und in die Medienholding Winterthur überführt, deren neue Gesellschafter der Medieninvestor Hans-Georg Barlach und der Hamburger Kunstimpressario Claus Grossner sind, jene beiden Figuren also, deren Sprachrohr Grossner seit mittlerweile gut zwei Wochen den Medienbetrieb geschickt ausnutzt. Seitdem türmt sich Gerücht auf Gerücht, jedes einzelne davon könnte einen Funken Wahrheit in sich tragen, insgesamt aber passt nichts zusammen.
Es geht um Macht, es geht um Geld. Grossner wählte von Beginn an die ganz großen Worte – und das, bevor die neuen Minderheitengesellschafter überhaupt Kontakt mit dem Verlag aufgenommen hatten. Von der Veräußerung der Reinhart’schen Anteile erfuhr man bei Suhrkamp aus der Presse. Von einer „untergehenden Kultur“ sprach Grossner, die er ausgewählt worden sei zu retten, bevor sie implodiere (ausgewählt von wem?). Von einer unsauberen Geschäftsführung durch Verlegerin Ulla Berkéwicz-Unseld war die Rede, von der Verquickung privater Ausgaben und derer des Verlags. Der Suhrkamp Verlag hat von Beginn an kein Hehl daraus gemacht, dass er die Beteiligung der Medienholding Winterthur nicht akzeptieren werde. Nicht nur, dass man in Zweifel zieht, dass Reinhart ohne Zustimmung der Verlagsleitung seine Anteile überhaupt veräußern durfte (die Überschreibung an eine andere Holding hält Suhrkamp-Sprecher Thomas Sparr für einen „Umgehungstatbestand“) – auch hat man angesichts der Bilanzvorwürfe Strafanzeige wegen Verleumdung gestellt.
Fraglich ist die Rolle von Joachim Unseld, dem seiner Stiefmutter in inniger Feindschaft verbundenen Sohn Siegfried Unselds. Joachim Unseld hat „einen sehr soliden Eindruck“ von den neuen Gesellschaftern gewonnen und sagt: „Vielleicht ist das wirklich ein Neuanfang.“ Nicht ohne ihn, versteht sich. Die Medienholding Winterthur verfügt, im Gegensatz zu Joachim Unseld, über Anteile an der Verlagsleitung GmbH, die über die Berufung der Geschäftsleitung bestimmt. Doch auch hier behält Ulla Berkéwicz-Unseld das Sagen.
„Überfordert“, so ließ man verlautbaren, sei die Verlegerin, ein Posten für ein privates Stressabbau-Coaching sei in den Bilanzen verzeichnet; bei Aktienspekulationen habe Suhrkamp im vergangenen Jahr mehr als eine Million Euro abschreiben müssen, Resultat von Berkéwicz-Unselds kaufmännischer Unerfahrenheit. Unsinn, sagt Thomas Sparr, das Unternehmen werde regelmäßig von einer neutralen Wirtschaftsprüfung durchleuchtet, die nichts zu beanstanden habe. „Weil diese Leute juristisch nicht in den Verlag kommen“, so Sparr, „versuchen sie es publizistisch.“
Unklar ist auch die Rolle von Arnulf Conradi, der mit Hilfe von Siegfried Unseld einst den Berlin Verlag gründete und nun als verlegerischer Berater Barlachs und Grossners fungiert. Was treibt ihn an? Steht hinter alldem in Wahrheit ein Großkonzern (Barlach ist eng verbunden mit dem Finanzinvestor David Montgomery)? Würde eben ein solcher nicht geschickter vorgehen? Ist der Vorgang außer Kontrolle geraten? Und wie reagieren die Autoren, das wichtigste Verlagskapital? Die Anzeichen sprechen für deren Solidarität mit Ulla Berkéwicz. Zurzeit herrscht eine merkwürdige Ruhe. Ist es die Ruhe vor dem zweiten Sturm oder das Ende eines geschickt inszenierten Mediengetöses? Dann könnte man sich bei Suhrkamp wieder auf das Kerngeschäft konzentrieren: das Büchermachen.