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Archiv-Artikel

Wulffs Wahlgeschenk hat Tücken

Zahlen sollen die anderen: Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff hat bei der Ankündigung des beitragsfreien Kita-Jahrs offenbar die Rechnung ohne die Kommunen gemacht

Aus HannoverKAI SCHÖNEBERG

„Der Wahltermin hat keine Rolle gespielt“, sagte der Ministerpräsident treuherzig, als er vor zwei Wochen ein beitragsfreies drittes Kita-Jahr für alle 77.000 Fünfjährigen in Niedersachsen ankündigte. Zwar nahm Christian Wulff mit seinem „Brückenjahr“ SPD und Grünen fast genau ein Jahr vor dem Urnengang im Land ein Großkampfthema aus der Hand. Ganz so einfach ist die Ausgestaltung der guten Gabe fürs Wahlvolk aber nicht.

Während Rheinland-Pfalz gerade angekündigt hat, ab 2010 die Kitas im Land völlig frei von Gebühren zu stellen, dreht sich die politische Diskussion in Niedersachsen gerade darum, wie lang denn so ein Gratis-Tag für die Knirpse im letzten Kita-Jahr eigentlich sein kann. Mindestens sechs Stunden will der zuständige Kultusminister Bernd Busemann (CDU) beitragsfrei stellen. Von einem ganztägigen Angebot oder gar einem Landesbonus für das Essensgeld will in der Landesregierung nie jemand geredet haben. Es gehe um ein „solides, grundständiges Angebot“, sagte Busemann gestern. Es könne ja wohl nicht sein, dass von dem Landes-Geld „Zierleisten“ gekauft würden, fügte sein Sprecher hinzu. Niedersachsen will nämlich für das Kita-Jahr nur 50 Millionen Euro in diesem Jahr und 120 ab 2008 bereitsstellen.

„Die Frage ist doch, wie weit man damit kommt“, sagt Heiger Scholz, Hauptgeschäftsführer des niedersächsischen Städtetags. Wulff habe die Rechnung ohne den Wirt gemacht, meint Scholz: „Das ist doch ein typisches Beispiel dafür, eine Forderung aufzustellen, die andere bezahlen müssen.“ Nicht das Land, sondern die Kommunen sind nämlich Träger der Kitas – und somit für die Erhebung der zumeist nach sozialen Gesichtspunkten gestaffelten Beiträge zuständig. Und diese variieren kräftig: „Zwischen 40 und mehr als 200 Euro im Monat“, sagt Berthold Ernst vom Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund. „Wir wissen nicht, wie viel.“ Deshalb haben die kommunalen Spitzenverbände gerade eine Umfrage bei ihren Mitgliedern gestartet, um herauszubekommen, wie hoch die Gebühren sind. Bis Ende Februar sollen die Ergebnisse vorliegen. Scholz sagt: „Ich habe schon bei ein paar Kommunen nachgefragt: Dort würden sechs Stunden am Tag mindestens 140 Euro kosten.“

Das Land will aber rechnerisch nur 130 Euro pro Kind und Monat auf den Tisch legen. So viel müssen Besserverdiener in Oldenburg für die neunstündige Betreuung ihrer Kleinsten zahlen. Für die Stadt Hannover würde die Pauschale ein Verlustgeschäft bedeuten, sagte eine Sprecherin. Ein Kita-Platz koste die Stadt bis zu 660 Euro im Monat. Kommunen, die nur Halbtagsplätze anbieten, „und das sind nicht zufällig oft Kommunen, die von CDU-Bürgermeistern regiert werden“, sagte dagegen Stefan Wenzel (Grüne), „erhalten in Vorwahlkampfzeiten ein üppiges Geldgeschenk“.

Das heißt, dass das Land auf eine weitere Bredouille zusteuert, weil alle Beteiligten für eine pauschale Abrechnung pro Kind sind – das spart Verwaltungskosten. „Für die Bearbeitung von 77.000 Anträgen braucht man 200 bis 300 neue Stellen“, sagt Ernst. Das wolle keiner. „Gefühlt könnte das Landesgeld gerade für eine Halbtagsbetreuung reichen“, fügt der Mann vom Städte- und Gemeindebund hinzu.