Altpöl ist die Königsklasse

In Dortmund gibt es einen Werkstatttreff für Autofahrer, die mit Pflanzenöl fahren. Der Treibstoff vom Acker belastet die Umwelt weniger und ist preisgünstiger als fossile Kraftstoffe. „Dagegen ist sogenannter Biodiesel eine echte Chemiekeule“

VON KLAUS SIEG

Mit einem lauten Quietschen schiebt Carsten Dahme die klapprige Blechtür auf. „Iss halt ne Höhle hier.“ Der 33-Jährige zieht die Schultern hoch. Auf dem groben Betonboden stehen alte Motoren herum, daneben Bierkisten, Wagenheber, Autoreifen und Plastikkanister. Kalte Luft zieht durch ein kaputtes Oberlicht in der Hallendecke. Hier können nur Enthusiasten arbeiten. „Uns geht es um Hilfe zur Selbsthilfe“, versucht Carsten Dahme zu erklären und stößt seinen dampfenden Atem in die kalte Luft.

In der „Pölhöhle“, wie die Werkstatt am Dortmunder Hafen in der Szene genannt wird, treffen sich Autofreaks aus der ganzen Bundesrepublik. Ihre Gemeinsamkeit: Alle betanken ihre Dieselfahrzeuge mit Pflanzenöl – „Pöl“ eben für jene, die um diese Sache nicht so viele Wort machen. „Dagegen ist Biodiesel eine Chemiekeule“, sagt Carsten Dahme und verschränkt die Arme vor der Brust.

Pflanzenöl wird aus Raps, Soja oder Sonnenblumenkernen gewonnen. Sie sind bei Herstellung, Transport und Verbrennung wesentlich umweltfreundlicher als Diesel oder Biodiesel. Letzterer entsteht durch eine energieaufwändige Umesterung von Pflanzenöl. Zudem sind die Abgase aus der Verbrennung von Pflanzenöl frei von Schwermetallen und Schwefel. Außerdem kostet es weniger, trotz der vor kurzem von der Bundesregierung eingeführten Besteuerung für Pflanzenöl als Kraftstoff. 20.000 Fahrzeuge mit Pflanzenöl im Tank rollen durch deutsche Lande, schätzt der Bundesverband Pflanzenöle e. V. Genau ermitteln lässt sich das allerdings nicht. Viele mischen Diesel einfach mit Pflanzenöl. Und Autofahrer, die bei Aldi oder Lidl billiges Salatöl einkaufen und tanken, lassen sich statistisch kaum erfassen.

Doch nicht jedes Dieselfahrzeug eignet sich gleich gut für den Betrieb mit Pflanzenöl. „Je neuer das Fahrzeug, desto komplizierter wird es“, weiß Carsten Dahme. Das liegt vor allem an den modernen Einspritzsystemen. Deshalb eignen sich am besten alte Schätzchen für den Pflanzenöleinsatz. Beispielsweise Mercedes-Benz-Fahrzeuge der 123er-Reihe. Von diesem Modell sind die jüngsten Vertreter vor mehr als zwanzig Jahren vom Band gerollt.

„Das größte Problem ist die Viskosität. Pflanzenöle sind dickflüssiger als Diesel, zumindest im kalten Zustand.“ Zur Demonstration holt Carsten Dahme ein mit Sojaöl gefülltes Würstchenglas aus der kalten Werkstatt. Im unteren Drittel hat sich ein milchiger Block abgesetzt. Nach einigen Sekunden in der Mikrowelle leuchtet das Öl wieder klar und goldgelb. Carsten Dahme steckt den Finger ins Glas und leckt ihn ab: „Ja, damit kann man fahren.“ Erst bei 70 Grad werden Pflanzenöle so flüssig wie Dieselkraftstoff bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Das bedeutet, dass Pflanzenöl schwerer zu transportieren und einzuspritzen ist. Leitungen, Kraftstoff- und Einspritzpumpe und Ventile werden stärker beansprucht.

„Es können Probleme auftreten, die der ADAC nicht kennt“, sagt Jonas Kühling. Der 20-jährige Abiturient sitzt in der Werkstattküche. Auch hier Chaos pur: leere Bierdosen, überquellenden Aschenbecher, daneben Zahnräder und Kombizangen.

„Fahren mit Pöl ist etwas für den mündigen Autofahrer“, fügt Carsten Dahme hinzu. Heißt im Klartext: für Menschen, die gerne einen Schraubenschlüssel in die Hand nehmen und auch Fachlektüre nicht scheuen. Carsten Dahme kam über einen Zeitungsartikel auf die Idee, Pflanzenöl in sein altes Auto zu kippen. Als Wehrpflichtiger mit schmalem Sold war für ihn die deutliche Reduzierung der Treibstoffkosten besonders reizvoll.

Doch geht es Carsten Dahme und den anderen Aktivisten um weit mehr: Sie wollen anders sein, sich von der großen Masse abheben und allen zeigen, dass so eine angebliche Verrücktheit funktioniert. Zwischen dreihundert und vierhundert „mündige Autofahrer“ aus der ganzen Bundesrepublik nutzen die Pölhöhle. Bei Meetings drängeln sich schon mal über hundert gleichzeitig in und vor der Halle. Dann liegt der Duft von Grillwürstchen in der Luft, das Bier fließt reichlich, und die Fachsimpeleien verstummen erst in den frühen Morgenstunden. „Natürlich springen bei so einem Treff auch viele Motorhauben auf, und es wird geschraubt“, schmunzelt Carsten Dahme.

Der studierte Betriebswirt arbeitet als Groß- und Außenhandelskaufmann in einem Pharmazieunternehmen. Im Nebenerwerb betreibt Carsten Dahme mittlerweile eine kleine Tankstelle für Pflanzenöl. Seine rote Zapfsäule steht am Eingang der Werkstatt. Mit einem Kleintransporter liefert er in die ganze Bundesrepublik. Zu seinen Kunden zählen ein Taxiunternehmen, ein Bauunternehmer, der seine Kipper auf Pflanzenöl umgestellt hat, und einige private Betreiber von Blockheizkraftwerken. Viele Pflanzenölnutzer haben zu Hause Plastiktanks stehen, die rund 1.000 Liter fassen. Das ist von den Sicherheitsbestimmungen unproblematisch. Pflanzenöl ist schwer entflammbar und gefährdet nicht das Grundwasser.

So sieht das Öl nicht aus, das Carsten Dahme in einem Nebenraum der Werkstatt filtert: eine schwarze Brühe, durchsetzt mit verkohlten Stücken. Carsten Dahme filtert das Altöl aus Fritteusen zunächst durch ein Flies und dann mit 1,9 Bar Druck durch einen Kerzenfilter. So bleiben alle Teile hängen, die größer als 0,001 Millimeter sind.

„Altpöl fahren gehört zur Königsklasse“, sagt Carsten Dahme und grinst. Verbleibende Kleinteile oder Wasserrückstände von tiefgekühlten Pommes können Düsen und Einspritzpumpen killen. Dafür gibt es altes Pflanzenöl umsonst, manche Restaurants oder Imbisse zahlen sogar für die Entsorgung. Die Abgase riechen dann nach Fritten, Schmalzgebäck oder Fisch. „Motorradfahrer bekommen Hunger, wenn sie hinter uns fahren“, erzählt Carsten Dahme und lacht.

Spaß und persönlicher Kontakt sind wichtig in der Pölhöhle. Aber ist das Fahren mit Pflanzenöl wirklich nur etwas für ambitionierte Bastler? „Die Kraftfahrzeugindustrie könnte längst zuverlässige Dieselmotoren bauen, die für mehrere Treibstoffarten geeignet sind“, glaubt Patric Bies vom Bundesverband Pflanzenöle. Das würde nicht nur Zweiradfahrer und Imbissbudenbetreiber freuen.