: Knast vielleicht doch cool
In Bremen und Hamburg setzen Präventionsprojekte für Jugendliche auf die abschreckende Wirkung von Gefängnisbesuchen. „Knast ist nicht cool“, heißt das Bremer Projekt. US-Studien bezweifeln die Wirksamkeit, stoßen hier aber kaum auf Resonanz
VON FRIEDERIKE GRÄFF
Die Idee ist denkbar einfach: Jugendliche, die strafrechtlich oder polizeilich bereits auffällig wurden, besuchen Häftlinge im Gefängnis – und werden dort mit dem ernüchternden Haftalltag konfrontiert. Im Vor- und Nachgang sollen sie in Gesprächen mit geschulten Mitarbeitern ihrer Verantwortung für sich selbst bewusst werden – und so von weiteren Straftaten abgehalten werden. Dieses aus den USA importierte Präventionsprinzip ist vor einigen Jahren in Hamburg und in der Folge auch in Bremen eingeführt worden. Doch inzwischen mehren sich die Stimmen, die seine Effizienz bezweifeln.
Das war lange Zeit anders. Der 1999 in Hamburg gegründete Verein „Gefangene helfen Jugendlichen“ ist seit 2006 als Jugendhilfeträger anerkannt, das Sozialressort steuert jährlich 14.000 Euro für die Betriebskosten bei. Angeregt durch das Hamburger Beispiel gründeten 2004 Bremer Gefangene mit dem Psychologen Gert Dragheim eine Initiative unter dem Namen „Knast ist nicht cool“. Das Bremer Projekt wird anders als das Hamburger nicht bezuschusst, aber durch einen Beamten in der Justizvollzugsanstalt unterstützt.
Im Mai vergangenen Jahres beschied der Senat eine Anfrage der Grünen dahingehend, dass „die Arbeit des Projekts als erfolgreich bewertet“ werde, „weil sie den Jugendlichen die strafrechtlichen Konsequenzen seines Tuns vor Augen führt und zugleich Alternativen aufzeigt“. Auch die Medien berichteten sowohl in Hamburg als auch in Bremen ausführlich; in der Süddeutschen Zeitung war zu lesen, das Bremer Projekt erziele „große Wirkung“.
Genau dies bestreitet die Bremer Juristin und Kriminologin Christine Graebsch. „Es gibt wenig gesicherte Erkenntnisse in der Kriminologie“, sagt sie. „Aber wenn etwas nicht wirkt, sind es diese Programme“. In einem 2006 in der Zeitschrift für Strafvollzug und Straffälligenhilfe veröffentlichen Artikel verweist sie auf experimentelle Studien in den USA, die seit den 60er Jahren immer wieder ergeben hätten, dass die Programme, die mit einer mehr oder minder modifizierten Abschreckungsdoktrin arbeiteten, im besten Fall wirkungslos seien, im schlechtesten sei die Straffälligkeitsquote der Teilnehmer im Anschluss sogar höher als die in der Kontrollgruppe.
Graebsch erklärt dies damit, dass das in den USA als „Scared Straight“ bekannte Arbeitsprinzip „theoretisch überhaupt nicht fundiert“ sei. „Durch ein so kurzes Erlebnis ändert sich nicht ein ganzes Leben“. Zudem sei es nicht unwahrscheinlich, dass sich die Jugendlichen weniger an den Warnungen der Gefangenen denn an deren bisherigem Lebensweg orientierten. Dass in den USA trotzdem an den „Scared Straight“ Projekten festgehalten wird, erklärt Christine Graebsch mit dem „starken gesellschaftlichen Bedürfnis nach einfachen Lösungen“, insbesondere bei besonders komplexen sozialen Problemen. In Bremen liefere es ohne Kostenaufwand „etwas nach Außen Vorzeigbares“. Graebsch begrüßt es nachdrücklich, dass sich Gefangene engagieren. „Aber es müssen sinnvolle Angebote geschaffen werden, die nicht auf Kosten von Jugendlichen gehen“.
Gert Dragheim, der Ende vergangenen Jahres das Projekt „Knast ist nicht cool“ verlassen hat, weil es in der Umsetzung nicht mehr seinen Ansprüchen gerecht wurde, räumt ein, dass „Abschreckung allein nicht adäquat, sondern kontraproduktiv“ sei. Im Gegensatz zu Graebsch glaubt er jedoch, dass die Gefangenen in der Vor- und Nachbereitung eine „Therapeutenrolle“ übernehmen könnten. Dies sei jedoch zuletzt an einem Mangel an Fachkenntnissen und ehrenamtlichen Mitarbeitern gescheitert. Die Sprecherin des Bremer Justizressorts, Lisa Lutzebäck, sieht dagegen keinen Anlass zu grundsätzlicher Kritik an dem Projekt: Die Daten aus den US-Studien seien nicht auf deutsche Verhältnisse übertragbar, zudem hänge es davon ab, „wie man mit den Jugendlichen umgeht“. Auch im Hamburger Präventionsprojekt weist man die Bedenken zurück. Es gehe „nicht allein um eine Abschreckung, auch die Sensibilisierung ist uns wichtig“, sagt der Geschäftsführer des Vereins „Gefangene helfen Jugendlichen“, Volkert Ruhe. Bei der Vor- und Nachbereitung, die die Bremer Kollegen als unzureichend kritisiert hatten, würden die Jugendlichen von Fachkräften aus der Jugendgerichtshilfe oder der Jugendberatung der Polizei begleitet.
Jens Weidner, Kriminologe an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften hält Graebschs Artikel für „seriös“. Der ungebrochene Reiz der Programme begründe sich im Arbeitsprinzip „Jugend erzieht Jugend“, das zwar sozialarbeiterischen Prinzipien folge, jedoch auf „empirisch nicht begründbarem dünnem Eis“. Zur Zeit arbeitet eine Studentin der Hamburger Universität an einer Evaluation des Hamburger Projekts, deren Daten jedoch noch nicht vorliegen. Für Bremen liegen keine Daten vor.