Lichtgestalten am Kunsthimmel

Selten waren sich Architekten, die Kulturszene und die Politik so einig: Auf dem Schlossplatz soll eine temporäre Kunsthalle entstehen – in Form einer Wolke. Ist damit die anarchische Zwischennutzung endlich im Establishment angekommen?

von Nina Apin

Der bis aufs Stahlgerippe ausgeweidete und dem Abriss geweihte Palast der Republik setzte in der Kulturszene die wildesten Fantasien frei. Die Ruine wurde bis in die letzten Winkel mit Tanz, Theater, Musik und Performance bespielt, unter Wasser gesetzt und zum Gebirge umgeformt. Je mehr es dem Ende zuging, desto kühner und abstruser wurden die Projekte. Kurz vor Schluss, im Dezember 2005, erreichten Kreativität und Verzweiflung eine solche Intensität, dass im Palast ein Wunder geschah. Es hieß „White Cube“ und war neun Tage lang Berlins einzige Halle für zeitgenössische Kunst. In drei Wochen und ohne öffentliche Finanzierung hatten zwei Kuratorinnen 36 internationale KünstlerInnen zusammengetrommelt, die in der weißen Halle ihre Werke zeigten.

5.000 Besucher aus aller Welt bestaunten die Zusammenstellung von Künstlern wie Olafur Eliasson und Tacita Dean, die sonst nur einzeln in Galerien zu besichtigen waren. Die 36 Meter lange, 27 Meter breite und 10 Meter hohe Ausstellungshalle selbst strahlte eine schlichte Erhabenheit aus, nach der sich die Stadt noch heute zurücksehnt.

Nach der erfolgreichen Kunstschau kamen die Bagger und machten dem weißen Kern und seinem düsteren Stahlgehäuse den Garaus. Geblieben sind eine Baustelle, auf der langsam und qualvoll die asbestverseuchte Palastruine abgetragen wird – und die Pläne für ein künftiges „Humboldt-Forum“ mit Stadtschlossfassade. Geblieben ist auch ein Phantomschmerz nach mutigen kreativen Projekten, urbanem Glamour und einem Ort für zeitgenössische Kunst, der in Berlin fehlt. Der White Cube lebt, seine Konturen hängen noch greifbar über der Stadt.

In den vergangenen Wochen verdichteten sie sich zu einer Wolke, die strahlend weiß über dem Schlossplatz schwebt und alle Sehnsüchte bedient. Das ebenso anmutige wie spektakulär geschwungene Gebilde stammt aus dem Labor der Berliner In-Architekten „Graft“. Es ist einer von fünf Beiträgen, die aus einem Ideenwettbewerb des Magazins Monopol hervorgingen. Jetzt spricht ganz Berlin davon.

Die Idee ist noch luftig: Bisher existiert nur eine Computersimulation, weder die konkrete Ausgestaltung noch Baukosten oder Finanzierung sind bekannt. Aber bestechend ist sie auch: Ein temporärer Bau, der später ab- und in anderen Metropolen der Welt wieder aufgebaut wird. Damit, so das Argument der Initiatoren, könne sich die Stadt, die von Kultur und Tourismus lebt, besser profilieren als mit dem öden Rasen, mit dem der Senat bisher den Platz bedecken wollte.

Lob vom Schlossfanatiker

Das Establishment griff diesen Gedanken begeistert auf: Kulturstaatssekretär André Schmitz findet ihn „grandios“, Kunstmäzen Peter Raue und andere Privatleute wollen Geld geben, auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat dem Vorhaben seine Unterstützung zugesagt. Selbst Wilhelm von Boddien, unermüdlicher Kämpfer für das Stadtschloss, findet die Halle in Wolkenform „zauberhaft“ – solange sie rechtzeitig zum Baubeginn des Humboldt-Forums wieder weg ist.

Es haben sich also ganz neue Allianzen für den White Cube in Wolkenform gebildet. Vorbei die Zeiten, als Kulturschaffende, Architekten und einige linke Politiker in natürlicher Opposition zur Lobby der Schlossaufbauer und Palastabreißer standen. Heute sitzen die größten Fans kultureller Zwischennutzung im Roten Rathaus und verbünden sich wie selbstverständlich mit Kultur, Medien und privater Kunstförderung. Woher kommt diese Allianz? Erntet das Establishment nun die Früchte der off-kulturellen Zwischennutzer?

Bei näherer Betrachtung wird schnell sichtbar, dass die Motive für die Unterstützung einer Kunsthalle auf dem Schlossplatz vielschichtig sind. Vielen, darunter Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) und den Kulturexpertinnen Alice Ströver (Grüne) und Monika Grütters (CDU) ist jede Alternative zum mutlosen Rasen recht. Selbst Architekt Philipp Oswalt, einer der härtesten Gegner des Palastabrisses, findet, dass etwas Laborhaft-Zeitgenössisches dem Schlossplatz ganz gut täte.

Einer anderen – wohl der größten – Fraktion geht es darum, dass Berlin wieder eine Ausstellungshalle für zeitgenössische Kunst bekommt. Seit der Schließung der staatlichen Kunsthalle in der Budapester Straße 1994 herrscht eine Lücke, die weder der Hamburger Bahnhof noch die privaten KunstWerke in Mitte schließen können. Eine Zwischenlösung auf dem Schlossplatz oder anderswo könnte ein Anfang sein, um diesem Mangel wenigstens übergangsweise abzuhelfen, so die Hoffnung, die Künstler, Galeristen und Museumsleute eint.

„Es ist Aufgabe der Politik, endlich wieder einen Raum für die Präsentation zeitgenössischer Kunst zu schaffen“, fordert Christoph Tannert, Direktor des Künstlerhauses Bethanien. Statt die Verantwortung auf Privatinitiativen und wenige Museen abzuwälzen, müsse der Senat eine Halle mit mehreren Millionen Euro Etat und mindestens fünf Angestellten finanzieren. Wenn nötig mit privaten Sponsoren. Die Wolke könne eine nützliche Vorstufe sein, um mögliche Betriebsmodelle auszuprobieren: „Eine Wolkenproduktion auf Zeit ist für die Kunst besser als ein Wolkenkuckucksheim.“

Ähnlich sieht das die Zwischennutzungspionierin Amelie Deuflhard, die aus der Ruine einen „Volkspalast“ mit Kulturbetrieb machte. Ein temporäres Gebäude könne testen, wie groß das Bedürfnis nach einer Kunsthalle sei. Deuflhard freut sich, dass ihre Zwischennutzungsideen den Weg in die Mitte der Gesellschaft gefunden haben. Wenn sich die Politik schon auf Experimente einlasse, könne sie auch gleich innovative Modelle für den staatlichen Kunstbetrieb erproben. „Innovativ fände ich Folgendes: Das Land bezahlt die Halle, Private betreiben sie.“

Bei den konkreten Fragen nach Bau, Betrieb und Finanzierung setzt die Fraktion der Skeptiker an, zu denen auch die streitbare Grüne Alice Ströver gehört – obwohl sie den Rasen nicht mag. Zu teuer, viel zu aufwändig für eine Zwischennutzung und kein Ersatz für eine dauerhafte Kunsthalle, lautet ihre Kritik, die auch andere Politiker teilen.

Wowereits Prestigeobjekt

Ströver, seit Jahren eine der schärfsten Beobachterinnen der Schlossplatzdebatte, weiß aber auch, dass das Wolkige des Entwurfs gleichzeitig seine Attraktivität ausmacht – zumindest für den Regierenden Bürgermeister und seinen Kulturstaatssekretär. Die ganze Idee einer temporären Kunsthalle, gestaltet von weltberühmten Architekten, ist ein typisches Prestigeprojekt von Klaus Wowereit, so vermutet nicht nur Alice Ströver. Mit dem spektakulären Bau könnte er sich ein Denkmal als Kunstförderer setzen – und die Diskussion um eine dauerhafte Kunsthalle ein paar Jahre hinausschieben.

Zeitgenössische Kunst ist extrem populär und ein ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor – genau wie Gegenwartsarchitektur. Mit einem todschicken Gebäude, das Kunstkenner aus aller Welt anlockt und noch dazu privat betrieben wird, hofft Wowereit einen spektakulären Coup zu landen wie einst Bundeskanzler Gerhard Schröder, der die Flick-Collection in den Hamburger Bahnhof geholt hatte.

Dass Wowereit jetzt derselbe Mann hilft, der schon bei Flick und der MoMa-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie seine Finger im Spiel hatte, ist kein Zufall. Peter Raue hat Einfluss und das nötige Kleingeld, das dem Senat fehlt. Wowereit und Raue kämpfen nur scheinbar um eine Beteiligung des Landes am Bau. Vermutlich hat der Regierende sich längst Geld für die Wolke aus der Rasenkasse von Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer besorgt. Sicher ist: Für ein Projekt, das ihm und Berlin kurzfristigen Glamour bringt, wird er das Geld auftreiben. Und hinterher, wenn das Lob für die Kunsthalle groß ist, dürfte auch keiner mehr meckern, so das Kalkül.

Bevor sich die Berliner Glamour-Boys aber daranmachen, auf dem Schlossplatz für wenige Monate und einige Millionen eine Wolke hochzuziehen, gibt es noch ein paar Hindernisse: Den alten Palast, der vor 2008 nicht das Feld räumen wird, das Abgeordnetenhaus, das zustimmen muss. Und einen großen weißen Kubus, der eine grüne Wiese ziert. Mit diesem Vorschlag haben sich die Ausstellungsmacherinnen Coco Kühn und Constanze Kleiner in die Debatte zurückgemeldet. Mit dem pragmatischen Bau, der wie das Original von 2005 die Kunst in den Vordergrund rückt, wollen die Initiatorinnen des „White Cube Berlin“ wieder mitmischen.

Dass der Senat endlich verstanden hat, wie wichtig Kunst für die Stadt ist, begrüßen die beiden. Aber: „Niemand versteht, wieso zurzeit nur über die ‚Wolke‘ gesprochen wird“, wundert sich Coco Kühn. Ihr Entwurf, den sie Anfang März samt Konzept für eine private Finanzierung öffentlich vorstellen wollen, soll „das Gegenteil einer Wolke“ sein: Preisgünstig, solide und mit vielen geraden Wänden, die Platz für die Kunst lassen. Denn um die soll es auf dem Schlossplatz schließlich gehen.