: Ein orchestrales Schattenspiel
Landesjugendorchester Bremen begleitet den Silhouettenfilm „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ von Lotte Reiniger
Schattenspiele an der Wand – im Kern ist das Kino nichts anderes, mag es sich technisch und künstlerisch noch so grandios aufplustern. In diesem Sinne sind die 40 Silhouettenfilme, die Lotte Reiniger von den 20er Jahren bis zu ihrem Tode 1981 ausgeschnitten hat, pures Kino. Lange vor Walt Disney, dessen „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ erst 1938 fertiggestellt wurde, bastelte sie zwischen 1923 und 1926 in mühevoller Detailarbeit mit „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ den ersten abendfüllenden Animationsfilm. Dieser besteht aus 130.000 Einzelbildern, für die Figuren mit beweglichen Gliedmaßen aus schwarzem Papier ausgeschnitten und als Silhouetten vor einer Lampe fotografiert wurden.
Zu diesem Stummfilm komponierte damals Wolfgang Zeller eine Musik, deren Partitur bis vor kurzem für verschollen galt. Aber anhand eines in den 90er Jahren aufgetauchten Klavierauszugs konnte eine Fassung für „großes Orchester“ erarbeitet werden, und diese übte vor genau zehn Jahren das Landesjugendorchester Bremen für seine erste konzertante Stummfilmbegleitung ein. Damals noch im Kino 46 spielten sie unter der Leitung von Stefan Geiger, der auch heute noch am Dirigentenpult steht, so schön und erfolgreich, dass sich daraus eine Tradition entwickelte. Seitdem übt das Orchester in jedem Jahr die Musik zu einem Stummfilmklassiker ein. Auf dem Programm standen schon „The Circus“ von Charles Chaplin, „Tartüff“ von F.W. Murnau und „Der General“ von Buster Keaton. Aus dem engen Kino in Walle zog das Orchester im Jahr 2002 zum ersten Mal in die Glocke, wo es auf über 60 Musiker aufgestockt wurde und „Metropolis“ von Fritz Lang, „Goldrausch“ von Chaplin und „Der Mieter“ von Hitchcock begleitete. Im zehnten Jahr spielen sie nun noch einmal, diesmal in großer Besetzung, die Musik zu Reinigers cineastischem Kleinod.
Erzählerisch ist der Film ein Flickenteppich, oder besser Ausschneidebogen, der aus Motiven von den Geschichten aus Tausendundeiner Nacht und anderen orientalischen Märchen zusammengesetzt wurde. So wird der schöne und junge Prinz Achmed von einem Zauberpferd entführt und muss Abenteuer mit afrikanischen Zauberern, dem Kaiser von China und den Dämonen der Zauberinseln von Wak-Wak bestehen.
Dort verliebt er sich in die schöne Fee Pari Banu und mit der Hilfe der dicken Hexe der Flammenberge und Aladin gelingt es ihm schließlich, die Fee davor zu bewahren, einen hässlichen Hofzwerg zu heiraten. Interessant für ein heutiges Publikum ist, wie sich damals wohl eher unbeabsichtigt die Modernität in diese Märchenwelt einschlich: Das Zauberpferd hat Schalter fürs Fliegen und Landen (an Schopf und Schwanz) und der Palast, den Aladin von seiner Wunderlampe erwünscht, errichtet sich selbst vom Fundament aufwärts – wie in den Zeitrafferaufnahmen vom Bau eines amerikanischen Wolkenkratzers.
In der Filmmusik hat jede Figur ihr eigenes Leitthema; jede dramaturgische Situation eine passende Klangfarbe. Wenn etwa die vom Prinz mit den schönen Scherenschnittaugen entführte Fee plötzlich in Liebe zu ihm entbrennt, schmachten die Geigen so schööön, dass die gehauchten verbalen Liebesbeteuerungen überhaupt nicht fehlen. Wenn der böse Zauberer erscheint, donnern Pauken und Trompeten los. Und wenn – „beim Barte des Propheten“ – Gefahr im Verzug ist, blasen die Flöten und Klarinetten schrillen Alarm. All dies kann man am Samstag um 16 und 20 Uhr im großen Saal der Glocke erleben.
Wilfried Hippen