: Bewegung im Verfahren
KRIEGSVERBRECHEN
Es war sicher ein Schock, als Gerhard Sommer die Nachricht in seinem Seniorenheim in Hamburg-Volksdorf erreichte: Fast 70 Jahre lang hat er sich seiner Verantwortung für das Massaker im italienischen Bergdorf Sant’ Anna di Stazzemo mit 560 Toten entziehen können. Nun hat das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) alle Einstellungsverfügungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft vom Tisch gewischt und deren Hamburger Kollegen den Weg frei gemacht, den 93-Jährigen anzuklagen – wegen vielfachen Mordes.
„Ein Fall mit besonderer Priorität“, sagt Peter Bunners von der Hamburger Staatsanwaltschaft. Das klingt, als nähme man die Vorgaben aus Karlsruhe ernst. Für das OLG ist ziemlich sicher, dass Sommer als Offizier der 16. SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“ am 12. August 1944 das Dorf zu umzingeln befahl – und die Menschen darin entweder zu erschießen oder mit Handgranaten umzubringen.
Dass Sommer danach Jahrzehnte unbehelligt blieb, ist zum einen der italienischen Militärjustiz geschuldet, die Unterlagen über das Kriegsverbrechen bis 1994 in Rom im „Schrank der Schande“ unter Verschluss hielt. Zehn weitere sorglose Jahre verschaffte ihm die Hamburger Staatsanwaltschaft, die ihre Ermittlungen 2004 an Stuttgart abgab. „Es macht ja keinen Sinn, parallel zu ermitteln“, erklärte der damalige Sprecher der Anklagebehörde, Rüdiger Bagger.
Die Stuttgarter hatten 2002 begonnen, gegen zwölf SS-Leute wegen des Verbrechens in Sant’ Anna zu ermitteln. 2012 stellten sie die Verfahren ein – Begründung: Es habe sich um eine Militäraktion gegen Partisanen gehandelt, die vor Ort aus dem Ruder gelaufen sei.
Dem widerspricht nun das OLG: Sommer sei als kommandierendem Offizier sehr wohl bekannt gewesen, dass sich die Militäraktion nicht auf die Partisanenbekämpfung beschränkte, sondern die Zivilbevölkerung des Ortes vernichten sollte. Nun haben die Hamburger Staatsanwälte das Wort, die „zügig“ über eine Anklage entscheiden wollen. „Wir warten jetzt auf die Akten“, sagt Bunners, „und werden diese schnell auswerten.“ PEMÜ