: „Wenn nicht nahe, so doch näher“
70 SchülerInnen spielen Hamlet und lernen dabei, Sein von Schein zu unterscheiden: Brigitte Rottländer-Wolff, Lehrerin für Darstellendes Spiel an der Hamburger Schule Richard-Linde-Weg über ein Projekt des plattform-Festivals am Ernst Deutsch Theater Hamburg
Als ich meinem Kurs Darstellendes Spiel, das sind Schülerinnen und Schüler einer neunten und zehnten Realschulklasse, Hamlet vorstellte, nahmen sie das ganz positiv auf. Diese Gruppe ist sowieso sehr aufgeschlossen und wir waren vorher auch schon einige Male im Theater. Wir haben „Hamlet“ nicht im Original gelesen, es passt vom Umfang einfach nicht in unseren Kurs hinein, aber wir haben einzelne Szenen herausgenommen und nachgespielt: Hamlets Begegnung mit dem Geist seines Vaters, die Liebesgeschichte mit Ophelia, der Verrat. So dass ein bisschen Gefühl für dieses Stück entstanden ist und dann haben wir Szenen erarbeitet, die zeigen, welche Möglichkeiten es heute gibt, mit solchen Krisen umzugehen. Wie ist das heute, wenn in einer Familie so eine Krise entsteht? Es wird ja nicht immer direkt der Vater umgebracht, aber es gibt Trennungen, Scheidungen, Patchwork-Familien – die meisten haben Erfahrungen damit. Wir haben auch viele Kinder mit Migrationshintergrund, was die an Erlebnissen mit sich herumtragen, das können wir nur erahnen. Ich glaube, da tun sich Abgründe auf. Bei der Eröffnung des Festivals haben wir ein Stück über eine Flucht aus Afghanistan angeguckt und da waren auch Schüler aus Afghanistan dabei, die sagten: So etwas würden wir auch gern mal auf die Bühne bringen. Ich bin da manchmal zurückhaltend, weil ich da nicht vor versammelter Mannschaft nach fragen will, aber sie schienen von sich aus so offen zu sein, dass ich das ganz gern mal thematisieren würde.
Zurück zu unserem Hamletstück: Mit unseren Szenen unterbrechen wir den Handlungsstrang des klassischen Stücks. Da wird dann wie in Werbespots unsere schöne bunte Welt gezeigt. Ich denke, das ist ein Weg, den Schülern dieses Stück wenn nicht nahe, so doch näher zu bringen. Ihnen ist schon klar, dass diese Verzweiflung, dieses Pathetische von Hamlet heute kaum noch nachzuvollziehen ist, zumindest nicht von einem jungen Menschen. Die Schüler selber haben dieses Gefühl schon, aber letztlich wird immer gesagt: Du brauchst nur eine Wellnesskur zu machen oder shoppen zu gehen und dann geht es dir direkt viel besser. Den Schülern ist bei dieser Arbeit klar geworden, dass das nur eine Scheinwelt ist, die diese Lebensprobleme nicht löst.
Bei den Darstellendes Spiel-Gruppen sind Jungen eigentlich immer unterrepräsentiert. Aber diesmal haben wir sogar sechs in einer Gruppe von 24, das ist genial, und diese Jungen sind besonders spielfreudig – das habe ich so eigentlich noch nicht erlebt. Ich finde, dass die Truppe super ist, sie sind total zuverlässig. Einige von ihnen sind im Praktikum und kommen trotzdem die ganze Woche über nachmittags noch zur Probe ins Theater.
Wie die Schüler zum Thema Macht und Ohnmacht, was ja das Thema des Festivals ist, stehen, hängt sehr davon ab, wie sie von der Familie aufgefangen werden und natürlich auch von der jeweiligen psychischen Verfassung der Schüler. Zum Teil lesen sie in der Presse, die Schüler seien nicht fleißig genug und nicht gut genug ausgebildet und dass sie sowieso niemand mehr bräuchte. Ich habe eine zehnte Klasse beim Praktikum begleitet, da haben wir bei Betriebsbesichtigungen auch ganz tolle Sachen erfahren, wo den Schülern mal gesagt wird: Ihr seid unsere Zukunft. Wir brauchen euch. PROTOKOLL: FRIEDERIKE GRÄFF
„Hamlet oder Am Scheideweg von Sein und Schein“, Jugend-Großprojekt. Samstag 20 Uhr, Ernst Deutsch Theater, Bühne
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