: Die neue Gelassenheit
Der Hamburger SV gewinnt nur eines von 21 Pflichtspielen, und Borussia Dortmund spielt so schlecht wie selten zuvor. Trotzdem werden in dieser Bundesligasaison kaum Trainer gefeuert. Warum?
VON DANIEL MÜLLER
Ein eigenartiges wie begrüßenswertes Phänomen vollzieht sich derzeit in der Ersten Fußballbundesliga. 14 Spieltage ist die Saison 2006/2007 nun schon alt, und noch immer ist Peter Neururer, von Hannover 96 bereits nach dem dritten Spieltag geschasst, das einzige Entlassungsopfer des sonst der „Hire and fire“-Mentalität verpflichteten deutschen Fußballgeschäfts.
Die Frage nach einer neuen Gelassenheit in den Führungsetagen der Bundesligavereine drängt sich da unweigerlich auf. Denn komplett krisenfrei verläuft die Saison für einige Vereine ja nun nicht gerade. Thomas Doll etwa hat mit seinem Hamburger SV nur ein einziges der 21 Pflichtspiele in Bundesliga, DFB-Pokal und Champions League gewonnen und steht auf Tabellenplatz 17. Vor der Saison wurde noch ein Champions-League-Platz als Ziel ausgegeben. Trotzdem stellen sich Sportchef Dietmar Beiersdorfer und HSV-Vorstandschef Bernd Hoffmann demonstrativ hinter Doll.
Ähnliches Bild in Dortmund: Die Borussia spielt in dieser Saison unter dem niederländischen Trainer Bert van Marwijk einen derart unattraktiven Fußball, dass sich selbst die ansonsten so hartgesottenen Fans des BVB mit Graus abwenden. Gegen die Hertha aus Berlin blieben am vorletzten Wochenende erstmals in dieser Saison mehr als 10.000 Plätze im Westfalenstadion unbesetzt.
Natürlich wird viel über Doll und van Marwijk diskutiert, spekuliert und werden beide auch öffentlich kritisiert – aber verblüffenderweise sitzen sie immer noch im Trainerstuhl. Zum Vergleich: In der Saison 2005/2006 verloren in der Hinrunde gleich acht Trainer ihren Posten. Woher kommt diese abwartende Haltung der Vereine? Die Gründe sind vielfältig und zugleich mal wieder auf einen Namen rekurrierbar: Jürgen Klinsmann.
Wegbereiter Klinsmann
Denn was der schwäbische Märchenmacher in seiner recht kurzen Amtszeit von zwei Jahren für den Trainerberuf in Deutschland getan hat, ist frappierend. Es ist nicht nur die Art, wie er aus einer Ansammlung junger und alter Talente eine Mannschaft gebildet hat, sondern vielmehr die nonchalante Chuzpe, mit der Klinsmann sich in der Chefetage des DFB Gehör und Respekt verschafft hat. Respekt für seine Arbeit, seinen Freiraum als Trainer und die Wahl des Trainerstabs sowie ein Konzept, das er ohne Gnade durchzog. Dieser positive Effekt scheint auf die Vereinsbosse und deren Sportdirektoren abzufärben – das neue Patentrezept heißt „Abwarten“, nicht wie häufig zuvor „Überstürzt handeln“.
Die Zeit der Feuerwehrmänner und kurzfristigen Meistermacher scheint vorbei, ein neuer Typus namens Konzepttrainer hat sich entwickelt. Anhand von Mirko Slomka, dem „netten“ Coach von Schalke 04, lässt sich das gut herleiten. Im Januar dieses Jahres war der ehemalige Co-Trainer auf den Posten seines in Ungnade gefallenen Chefs Ralf Rangnick aufgerückt. Der damalige Manager Rudi Assauer witzelte noch: „Auf den wäre ich nicht gekommen.“ Slomka stabilisierte die verunsicherte Truppe, die sich nach den Querelen um Rangnick in der Bundesliga schwertat, und führte sie am Ende auf einen respektablen Uefa-Cup-Platz.
In dieser Saison stand Slomka laut Medienberichten schon mehrere Male direkt vor dem Rauswurf, klammheimlich und mit konstanter Leistung konnte er sein Team aber an die Tabellenspitze führen. Das ist zum einen dem nachhaltig ausgesprochenen Vertrauen von Manager Andreas Müller geschuldet. Zum anderen und vor allem aber der Konsequenz des Slomka’schen Konzepts: einer Mischung aus freundlicher Kumpelei und strikter Trainings- und Taktikführung.
Vertrauen ins Konzept
Er hat genau zugehört bei Arsenal-Coach Arsène Wenger in London und Claudio Prandelli vom AS Rom, als er bei ihnen hospitierte. Bei Wenger hat er die Mannschaftlichkeit entdeckt, die Art, über Spaß und Kreativität Homogenität zu schaffen. In Rom lernte er straffe Organisation und harten Zug. Mirko Slomka ist dabei kein Kopist, sondern ein Eklektiker der Fußballphilosophien seiner Lehrmeister. Er ist – und das wissen Manager Andreas Müller und Aufsichtsratsvorsitzender Clemens Tönnies – ein kompletter Trainer, der die Mannschaft erreicht. Die Spieler duzen ihn weiterhin, er hat aus dem zusammengekauften Starensemble Schalke 04 eine Einheit geformt.
Die hatte Thomas Doll letzte Saison auch aus der Rumpeltruppe des HSV kreiert. Vollkommen zu Recht wurde er daraufhin zum Trainer des Jahres gewählt. Der HSV machte endlich mal wieder Spaß – ein furioser dritter Platz war die Belohnung für das Kollektiv. Nun aber hat der kleine Mann ein großes Problem.
Ohne Not hat die Vereinsspitze wie ein Finanzvorstand – und nicht wie die eines Sportvereins – gehandelt und die komplette Innenverteidigung aus Daniel van Buyten und Khalid Boulahrouz verkauft. Außerdem zerpflückten viele Verletzungen die Truppe, die nun im Niemandsland der Liga herumdümpelt. Das Konzept des akribischen Arbeiters Doll, saisonübergreifend eine funktionierende Mannschaft aufzubauen, wurde geradezu systematisch torpediert. Ein Umstand, den sich Beiersdorfer und Co. wohl langsam auch eingestehen.
Bis „mindestens Weihnachten“ hat Doll Schonfrist bekommen. Sollte der HSV in den drei kommenden Spielen allerdings wieder nicht gewinnen, wird sich das derzeit träge Trainerkarussell der Bundesliga wieder in Bewegung setzen – und den Konzepttrainer Doll abwerfen.