Schwing deine Hüfte nicht
TANZ IRAN „Don’t Move“ erzählt im Ballhaus Naunystraße, wie es Tänzern im Iran gelingt, trotz Verbot ihrer größten Leidenschaft nachzugehen
„Am liebsten hätte ich die Taxitür aufgerissen und wäre losgerannt“, erzählt Modjgan Hashemian, Choreografin aus Berlin, von ihrem Besuch in Teheran. Die Stadt ist laut und staubig, alles erschien ihr zu gedrückt. Für ihr neues Stück „Don’t Move“, das sie gemeinsam mit Susanne Vincenz inszeniert hat, recherchierte die gebürtige Iranerin in Teheran. „Dort wird man bewegt, statt selbst zu gehen“, erzählt sie. Der einzige Ausweg ist zu tanzen.
Doch genau das ist im Iran verboten. Kein Tanz in der Öffentlichkeit, auf der Bühne oder bei Festen. Auch Tanzausbildungen gibt es keine. „Dabei lieben es die Iraner zu tanzen“, weiß Hashemian. Wie so vieles andere existiert in der Islamischen Republik auch Tanz, obwohl er verboten ist. Davon handelt „Don’t Move“: wie Menschen im Iran trotz Verbot ihrer Leidenschaft nachgehen.
In Teheran traf Modjgan Hashemian Tänzer und Tänzerinnen, die sich selbst nicht als solche bezeichnen dürfen. Sie proben in leer stehenden Wohnungen oder auf Hausdächern, immer mit der Angst erwischt zu werden. „Einmal fragte uns die Polizei, wieso springen sie? Unsere Antwort: ‚Wir wollen nur Luft schnappen‘ “, erzählt Hashemian, „das System ist unberechenbar. Man weiß nie, was passiert, falls man erwischt wird.“ Dieses Erlebnis taucht auch im Ballhaus Naunynstraße auf, als Videosequenz auf einer Leinwand.
„Mir war wichtig, dass die Berliner Tänzer die Geschichte der Iraner kennen“, erzählt Hashemian. Während der Erarbeitung des Stücks kommunizierten beide Seiten immer wieder über Skype. „Man braucht keine Sprache, um einander zu verstehen“, findet Hashemian, „Tanzen ist die Sprache.“ Und so tanzen Iraner und Berliner gemeinsam, jeder vor seiner Webcam.
Eine iranische Tänzerin erklärt in einer Videobotschaft, wie man sich als Frau bewegen darf, ohne aufzufallen. „Nimm den Hintern rein und schwing nicht so sehr mit der Hüfte“, sind ihre Anweisungen. Die anfangs geschmeidigen Bewegungen der Tänzerin auf der Bühne werden immer steifer und abgehackter, je mehr Anweisungen sie zu befolgen versucht. „Arme nicht so hoch über den Kopf, Beine zusammen.“ Es ist unmöglich, mit all den Regeln überhaupt noch zu tanzen. Die Tänzerin gibt irgendwann auf, sinkt zu Boden. „Dein Kopftuch ist viel wichtiger als dein Körper“ erfährt der Zuschauer noch, dann geht das Licht aus.
In den Händen der Iranerin
Hashemian erzählt, wie schwierig es für iranische Frauen ist, auf die Straße zu gehen. „Ständig ist da die Angst, etwas Falsches zu tun, sich falsch zu bewegen.“ Eine Anspannung, die erst im eigenen Haus nachlässt. Die iranische Tänzerin, die im Video zu sehen ist, tanzt sehr vorsichtig. Behutsam und langsam sind ihre Bewegungen.
Plötzlich rennt und springt sie, als müsse alle Energie aus dem Körper. Sie beginnt mit ihren Armen Schlangenlinien zu formen, anmutig bewegt sie ihre Hände, ganz groß sind diese im Video zu sehen. Und auch auf der Bühne taucht ein Tänzer auf. Er bewegt sich hinter der Leinwand, und so scheint es, als ob er in den Händen der Iranerin tanze, mit ihnen verschlungen ist. So verdichtet sich die Verbindung zwischen Berlin und Teheran auch visuell.
„Don’t Move“ ist ein bewegendes, emotionales Stück. „Die iranischen Tänzer haben mir so viel aus ihrem Leben erzählt, mir vertraut“, erzählt die Choreografin. Ganz besonders für sie ist da der Moment, als die Tänzer aus dem Iran live per Skype auf die Bühne geschalten werden. Mit viel Applaus werden sie von den Zuschauern belohnt. Und den haben sich alle verdient.
JULIA SCHWEINBERGER
■ „Don’t Move“ im Ballhaus Naunynstraße, 24. bis 26. März und 28. bis 30. März, jeweils 20 Uhr