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Archiv-Artikel

Sag Jah zum Leben

Paul St. Hilaire hat den Elektronikdub von Rhythm & Sound fliegen lassen und galaktische Vocals für die neue Platte des Techno-Prinzen Carl Craig eingesungen. Solo widmet er sich lieber Roots-Reggae

VON ANDREAS HARTMANN

Zum ersten vereinbarten Treffen in seinem Studio in Kreuzberg erscheint Paul St. Hilaire gar nicht. Dafür hat er eine Woche später dann überraschenderweise seinen Bruder mitgebracht. Paul St. Hilaire, der unter dem Namen Tikiman als Stimme des sagenumwobenen Berliner Dubelektronikprojekts Rhythm & Sound weltbekannt wurde, nutzt die Promotion für sein zweites Soloalbum einfach, um seinem Bruder Ras Perez auch etwas mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Warum auch nicht. Dessen Stimme, das lässt sich auf seiner Platte „Zion Vibes“, die einem gleich zugesteckt wird, und auf einem Track für Rhythm & Sound nachhören, hat einen ähnlich magischen Schmelz wie die seines Bruders. Auch sonst gibt es Parallelen: Beide sind waschechte Rastas, und was Ras Perez auf seiner Soloplatte sein „Oh Jah Jah“ ist, hat bei Paul St. Hilaire Songtitel wie „Jah Won’t Let Us Down“, „Jah Live Over The Hills“ oder gar „Jah Love“. Hauptsache Jah.

Natürlich hängt in Paul St. Hilaires Studio ein Bild von Hailie Selassie, dem Gottkönig der Rastafarians, und am Telefon sagt der Sänger dauernd „bless you“. Man hat also das Gefühl, man kommt dem großen Geheimnis langsam näher. Denn wer einmal Rhythm & Sound mit Tikiman gehört hat, will das Geheimnis seiner Stimme lüften. Sie hat das, was sich in der Reggae-Sprache „Spirit“ nennt. Es klingt in ihr etwas mit, das von außen kommen muss, da scheint etwas von einer übernatürlichen Kraft beseelt zu sein. Wer diese schwebende, ätherische Stimme hört, der fängt auch ohne Weihnachten an Gott zu glauben an.

Ras Perez und Paul S. Hilaire kommen, wie übrigens auch ein dritter umtriebiger Reggae-Sänger in Berlin, Ras Donovan, aus Dominica. Die karibische Insel hat nichts, und darauf legen die beiden Brüder Wert, mit der Dominikanischen Republik zu tun hat. Sie liegt in den französischen Antillen, zwischen Guadaloupe und Martinique.

Bekannt wurde Tikiman, der nach einem Rechtsstreit mit einem amerikanischen Sänger, der behauptete, vorher auf diesen Namen gekommen zu sein, nur noch unter seinem bürgerlichen Name auftritt, mit dem besagten Act Rhythm & Sound, einem Projekt der beiden Berliner Produzenten Mark Ernestus und Moritz von Oswald. Deren Version von urbanem Reggae, der den traditionellen Rasta-Vibe in ein Gewand aus minimalistisch-feinstofflichen Techno kleidet, ist bis heute ein Markenzeichensound, der oft kopiert wurde, ohne dass jemals dessen spirituelle Konsequenz erreicht wurde.

Paul St. Hilaire ist jedoch keiner, der sich festlegen möchte. Und er ist mehr als ein Gastsänger, wofür auch seine zweite Soloplatte spricht. Seine Arbeit mit Rhythm & Sound geht weiter, doch, so sagt er, ginge es ihm vor allem darum „voran zu kommen“. So gab er seine Stimme auch für das ruppige Dancehall-Projekt des Londoner Produzenten Kevin Martin alias The Bug her, hat eben erst etwas für den Frankfurter Drum-&-Bass-Bastler Kabuki und für Modeselektor aus Berlin aufgenommen. Und dann spielt er gleich hier im Studio, ganz exklusiv, eine Nummer vor, die er gerade mit dem Detroiter Technoproduzenten Carl Craig eingespielt hat und die schier unfassbar klingt. Stimme – diese Stimme! – und reduzierte Elektronik verschmelzen, und für einen Moment hat man das Gefühl, als verschwände man in diesen Echokammern und Hallräumen, die hier erklingen.

Solche Momente finden sich auf Paul St. Hilaires Solowerk „A Divine State Of Mind“ nicht. Sie klingt eher klassisch, mehr nach Dominica als nach Berlin, eher Sandstrand als Autobahn. Dubbiger Roots-Reggae ist das. „Es gibt Leute, die wollen Roots-Reggae töten“, sagt St. Hilaire und verweist darauf, dass aus Reggae weitestgehend Dancehall geworden ist, rapartiges Geschepper mit digitalen Offbeats, das zu aggressiv klingt für die Kifferrelaxtheit, mit denen Reggae einmal assoziiert wurde. „Sie wollen Roots-Reggae töten“, sagt er also, „doch sie werden es nicht schaffen, Roots-Reggae kann nicht sterben.“

Man fragt sich natürlich, wie der Rastamann alles, was er so macht, unter einen Hut bekommt, wie er es schafft, sich scheinbar mühelos in den unterschiedlichsten Soundwelten zu bewegen. Doch da hilft ihm einmal mehr seine pastorale Philosophie: „Es ist alles mein Leben, alles, was ich mache, ist Teil einer großen Sache.“ Und dann blickt man zu seinem Bruder, der zu allem Gesagtem stets große Zustimmung signalisiert, dabei aber immer bescheiden in sich selbst ruht, und man ist sich sicher, dass auch Ras Perez seinem Bruder die nötige Erdung verschafft. Doch Jah ist es, das wird klar, der beiden hilft, den Überblick zu behalten. Jah ist auch das Geheimnis hinter ihren Stimme. Und vielleicht noch ein wenig Gras, doch dagegen hat Jah ja nichts. Bless you.

Paul St. Hilaire: A Divine State Of Mind (False Tuned/Indigo)