Tchibo handelt jetzt auch mit Nachhilfe

Neben Bahntickets und Bettwäsche verkauft der Kaffeediscounter jetzt Nachhilfeunterricht eines Bildungsunternehmens. Ein Monat Nachhilfe kostet nur 50 Euro. Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sieht das Angebot mit großer Skepsis

VON WOLF SCHMIDT

Die Sonderangebote der Woche: Ein Multifunktionsduschkopf mit acht verschiedenen Strahlfunktionen für 10,99 Euro. Ein Edel-Biber-Wendebettwäsche-Set, Standardgröße, für 24,98 Euro. Und: Ein Monat Nachhilfe in Mathe, Englisch oder Deutsch für 49,90 Euro.

Klingt befremdlich, ist aber ernst gemeint: Der Hamburger Kaffeeröster Tchibo steigt ins Bildungsgeschäft ein. „Wir sind ein Unternehmen für Familien“, sagte eine Unternehmenssprecherin zur taz. „Nach den Halbjahreszeugnissen ist Nachhilfe ein Thema, mit dem sich Mütter, Väter und Kinder in manchen Fällen leider auseinandersetzen müssen.“

Für die Gutscheine, die es noch bis diesen Sonnabend bei Tchibo gibt, erhalten Kinder 24 Stunden Nachhilfe beim Anbieter Studienkreis. Dort bekommen nach eigenen Angaben jährlich 70.000 Schüler in ganz Deutschland privaten Zusatzunterricht. Das macht den Studienkreis zu einem der größten Nachhilfeinstitute in Deutschland.

Der Tchibo-Gutschein sei als „Schnupperangebot“ gedacht, sagte eine Sprecherin des Studienkreises der taz. Normalerweise kosten 24 Stunden Nachhilfe in dem Institut statt 49,90 Euro knapp 200 Euro, was 8 Euro pro Stunde entspricht. Der Unterricht findet in Gruppen von drei bis fünf Schülern statt.

Gegen Kritik an dem Billigangebot verwehrt sich der Studienkreis und verweist auf sein TÜV-Zertifikat. Außerdem könnten sich Eltern und Kinder zuerst ein Bild von den Nachhilfeschulen machen und den Gutschein wieder umtauschen, sollte ihnen das Angebot nicht gefallen. Andere Nachhilfeunternehmen sprechen hingegen von „Dumpingpreisen“.

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht die Tchibo-Aktion mit großer Skepsis. „Die Verquickung von Kommerz und Schule hat ein Ausmaß erreicht, das unerträglich ist“, sagte GEW-Referentin Martina Scherr der taz. Nach dem Pisa-Schock im Jahr 2001 hat die Zahl der Schüler, die privaten Zusatzunterricht erhalten, drastisch zugenommen – laut der aktuellen Shell-Jugendstudie zwischen 2002 und 2006 um mehr als ein Viertel. Etwa jeder vierte Schüler lässt sich außerhalb der Schule gegen Bares unter die Arme greifen. Scherr beobachtet zudem, dass immer mehr Grundschüler Nachhilfe nehmen, um den Sprung aufs Gymnasium zu schaffen.

Durch den Boom der Nachhilfeindustrie verstärkt sich aber auch eine soziale Schieflage. Denn nicht alle Eltern haben das Geld, Zusatzunterricht zu bezahlen. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2005 zeigt: Kinder aus Haushalten im oberen Einkommensviertel nehmen mehr als doppelt so häufig bezahlte Nachhilfe wie Kinder mit Eltern aus dem unteren Einkommensviertel.

Für die Gewerkschaft gibt es nur eine Alternative zum privaten Nachhilfeunterricht: die Zahl der Ganztagsschulen erhöhen. Dort gibt es am Nachmittag Hausaufgabenhilfe für alle – auch ohne Tchibo-Gutschein.