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Archiv-Artikel

Vielfalt statt Expertentum

Kaleidoskope machen nicht nur Kindern Spaß, sondern auch Menschen, die die Volljährigkeit längst erreicht haben. Das gebrochene Licht erzeugt neben lustigen Effekten eine Art Perspektivenwechsel, lässt aus kleinen Details neue Vielfalten entstehen. Wenn sich ein Künstlerkollektiv, das unter anderem auf Neue Musik spezialisiert ist, nach diesem optischen Gerät benennt, ist das, wie beim Berliner Solistenensemble Kaleidoskop, daher ein ermutigendes Zeichen: Geht es den Musikern doch um eine Erweiterung von Musik- und Konzerterfahrung und nicht um die Einengung auf ein Expertenprogramm.

Die 15 jungen Profimusiker von Kaleidoskop haben in ihrem Repertoire denn auch Werke vom Frühbarock bis zu heutigen Komponisten, und die spielen sie bevorzugt gemischt, statt das Alte vom Neuen zu trennen. Nach Einspielungen mit Violinkonzerten von Bach oder Klavierkonzerten von Haydn präsentiert sich das Solistenensemble auf seiner aktuellen CD erstmals in seiner ganzen Breite.

Der vorzeitig gestorbene Kanadier Claude Vivier macht den Auftakt mit dem Streicherstück „Zipangu“ (1980), in dem Harmonien und Melodien durch konsequent eingesetzte Glissandi und wechselnde Streichtechniken in immer neuen Farben aufstrahlen – fast wie ein Programmstück zum Namen des Ensembles. Spartanischer, aber nicht weniger detailreich geht es im zwei Jahre später entstandenen, zwischen herkömmlichen und mikrotonalen Harmonien oszillierenden Sextett von Georg Friedrich Haas zu.

Zupackend wird es bei Iannis Xenakis und seiner monumental-wuchtigen „Aroura“ (1971), auf die Joseph Haydns äußerst schlank und angemessen elegant dargebotene Symphonie Nr. 64 folgt. Die Erfahrung mit Neuer Musik, die mit einem wohlfühlig-cremigen Klassikverständnis vergangener Tage wenig zu tun hat, macht sich hier vorteilhaft bemerkbar.

Eine strengere Art von Vielfalt präsentiert der in Berlin lebende Flötist Erik Drescher mit Peter Ablingers „Augmented Studies“. In den vier Stücken des ebenfalls in Berlin ansässigen Komponisten erklingen wahlweise eine, drei, 16 und sogar 22 Flöten, allesamt gespielt von Drescher – zum Teil mit technischer Unterstützung – selbst interpretiert. Manchmal sind die Flötenklänge in ihrer geballten Dichte kaum noch als solche zu erkennen: So bildet sich ein Kaleidoskop aus einem einzigen Instrument.

TIM CASPAR BOEHME

■ Solistenensemble Kaleidoskop: „Hello, I’m Solistenensemble Kaleidoskop“ (Ars Produktion/Note 1)

■ Peter Ablinger: „Augmented Studies“ (World Edition)