Hardcore-Jazz-Agitatoren bei der Arbeit

KONZERT Der Saxofonist Mats Gustafsson, der Bassist Massimo Pupillo und der Schlagzeuger Brian Chippendale im Radialsystem

Ganz schön heftig. Schon irgendwie Jazz, aber bestimmt keiner, der mit einem lässigen „Eins, zwei, drei, vier“ eingezählt wird, dem dann so eine noch lässigere Fingerschnippmusik folgt. Sondern eine Erschaffung von Musik aus dem Geräusch heraus und aus dem Lärm, die im Weiteren dann durchaus auch wieder Lärm sein kann, nur halt noch einmal besser durchgeknetet. Man kann es Qualitätslärm nennen, wenn man will. So war das am Dienstagabend im Radialsystem beim Treffen des Saxofonisten Mats Gustafsson, des Bassisten Massimo Pupillo und des Schlagzeugers Brian Chippendale.

Berserkerhaft drosch der US-amerikanische Schlagzeuger (auch Teil der Extremkrachband Lightning Bolt) auf sein Instrument ein, der italienische Bassist warf sich wie ein Springteufelchen mit hohem Körpereinsatz in die Musik, Gustafsson mischte sich mit einem zeternden Saxofon ein, wenn er nicht an seinen Electronics herumschraubte. Ein Miteinanderspielen, ein Nebeneinanderherspielen, ein Gegeneinanderspielen, was man erst mal können muss. Hardcore-Jazz-Agitatoren bei ihrer Arbeit, eine schwere Soundwand in den Saal zu wuchten, bei der die Einzelstimmen nur mehr in Spurenelementen hörbar waren.

Angekündigt war der Abend als „Petit A l’arme“. Ein kleiner musikalischer Waffengang zwischendurch, in Erinnerung an die „A-l’Arme“-Festivals in den vergangenen beiden Jahren im Radialsystem, bei denen der schwedische Saxofonist Gustafsson in verschiedenen Gruppierungen zu hören war. Dass es in diesem Jahr nur zu einer Verdichtung mit ihm auf ein Konzert allein reichte, lag an Finanzierungsfragen. Wie (und ob) es mit dem vom Berliner Pianisten Louis Rastig konzipierten Festival für den eher heftigen Freistiljazz weitergeht, muss sich noch zeigen. Ohne Fördermittel jedenfalls geht da kaum was.

Dabei ist der Bühnenraum für diese vom Freejazz inspirierte Musik zuletzt recht überschaubar geworden in dieser Stadt, die ja mal mit dem Total Music Meeting oder den Workshops Freier Musik doch eine Hauptstadt dieser Szene war.

Volle Durchschlagskraft

Am Dienstagabend war das Radialsystem jedenfalls bis auf den letzten Platz besetzt. Nach der Pause allerdings klafften ein paar Lücken im Publikum. Lärm kann erschöpfen. Andererseits braucht so eine Musik schon ihre Zeit zur vollen Durchschlagskraft. Nichts wesentlich anderes als im ersten Set passierte auch im zweiten, also die Verfertigung einer Powerplaymusik im höchsten Intensitätsmodus, und laut muss sie schon deswegen sein, weil man die Musik hier, für alle Akteure, für die Spieler wie das Publikum gleichermaßen, als physische Erfahrung wollte, der dann die Psyche doch irgendwann hinterhertrotten wird.

Und in der entsprechenden Stimmung winkt an so einem Konzertabend eben auch eine lärmgeläuterte Katharsis. Wer sich nicht läutern lassen wollte, durfte sich von den Herren Gustafsson, Pupillo und Chippendale im Radialsystem wenigstens so mürbe geklopft fühlen wie ein Schnitzel. THOMAS MAUCH