: Bitte nun keineswegs nur an dieser Liste entlanglesen
JURYSCHELTE Die Longlist zum Deutschen Buchpreis verzerrt das Bild der deutschsprachigen Literatur
Es ist nicht leicht, aus der Vielzahl der literarischen Neuerscheinungen eine überzeugende Longlist für den Deutschen Buchpreis herzustellen. Keineswegs leichter wird das durch das Verfahren, mit dem die Jury zusammengestellt wird, die diese verantwortungsvolle Aufgabe zu erfüllen hat. Die sieben Jurymitglieder werden jedes Jahr neu bestimmt. Da geht es in der Diskussionen immer auch darum, erst einmal Kennenlernarbeit zu leisten und sich nebenbei über die Kriterien zu verständigen, nach denen man die Romane auswählt. Auch oder gerade wenn man da im Glashaus sitzt, muss man immer wieder erkennen, dass Juryarbeit ein seltsames und auch fragwürdiges Geschäft ist. Es gibt halt nur keine gangbare Alternative dazu.
Die Liste ist Quatsch
Dies vorausgeschickt, muss man feststellen: Die Longlist, die die Jury des Deutschen Buchpreises dieses Jahr zusammengestellt hat, ist Quatsch. Man muss das deshalb so deutlich sagen, weil man nur hoffen kann, dass jetzt nicht viele Literaturredaktionen den Fehler begehen werden, sich bis zur Frankfurter Buchmesse nur an dieser Liste abzuarbeiten. Und man kann nur hoffen, dass die Verlage nicht den Fehler begehen werden, ihre Marketinganstrengungen nur auf die Romane zu konzentrieren, die auf der Liste vertreten sind.
Die Liste ist deshalb Quatsch, weil viele, viele Romane, die noch bis zur Buchmesse herauskommen werden und über die geredet und gestritten werden wird, auf ihr fehlen. Wer immer auf der Liste fehlt, er oder sie – es fehlen vor allem viele der interessanten weiblichen Stimmen – ist in guter Gesellschaft. Okay, einer Judith Hermann muss man nicht gleich den Buchpreis geben. Aber sie gar nicht auf die Longlist setzen? Hm. Und dann: Was ist mit solchen Talenten wie Karen Köhler, Olga Grjasnowa, Lucy Fricke oder Lisa Kränzler? Was ist mit so einem Autor wie Robert Seethaler, dessen gerade erschienener Roman „Ein ganzes Leben“ erkennbar eins der Lieblingsbücher der Buchhändler werden wird? Warum ist Wolf Haas nicht drauf?
Man könnte mehr Namen aufzählen. Und vor allem: Warum fehlen Michael Kleeberg und Nino Haratischwili, deren Romane in diesem Herbst Schwergewichte sein werden? Dass diese beiden Autoren noch nicht einmal in die engere Wahl genommen wurden, grenzt an einen Skandal. Auch sonst geht diese Liste an zu vielen wichtigen Neuerscheinungen vorbei. An so vielen, dass man sagen muss: Diese Longlist verzerrt das Bild der deutschsprachigen Literatur.
Die Auswahl, die die Liste anbietet, wirkt hilflos. So als wollten alle Jurymitglieder wenigstens ihre eigenen Favoriten retten. Natürlich sind verdienstvolle und auch gute Autoren darunter. Angelika Klüssendorf, Thomas Hettche, Lutz Seiler, Feridun Zaimoglu, Marlene Streeruwitz, Michael Köhlmeier. Es gibt Talente wie Franz Friedrich, Thomas Melle und Matthias Nawrat. Sasa Stanisic, der Gewinner des Leipziger Buchpreises im Frühjahr, ist souveränerweise auch vertreten. Na ja, die Titel werden Sie nun ja an den einschlägigen Sammeltischen in den Buchhandlungen durchblättern können. Aber wer sich in diesem Herbstprogramm nur auf die Buchpreis-Kandidaten beschränkt, der verpasst etwas.
DIRK KNIPPHALS