Eine Chefin verzichtet auf die Liebe

KINOGESCHICHTE Die Komödie „Das Schmuckstück“ von François Ozon ist eine Hommage an zwei der größten Schauspieler ihrer Generation: Catherine Deneuve und Gérard Depardieu

Beginnen wir mit einer kurzen Rückblende: 1964 wurde Catherine Deneuve mit dem farbenfrohem Musical-Film „Die Regenschirme von Cherbourg“ von Jacques Demy bekannt. In der Schlussszene fährt sie mit reichem Ehemann und im Nerz an einer Tankstelle vor; an der Zapfsäule steht ihr ehemaliger Geliebter, der im Algerienkrieg kämpfen musste. Er tankt den Wagen voll, und sie fährt mit dem anderen davon, den sie nicht liebt.

Diese Szene ist nicht nur schrecklich wehmütig, sondern auch visionär, in vielerlei Hinsicht. Schließlich ist Catherine Deneuve auf der Leinwand immer wieder davongefahren, weggegangen, geflohen, vor der Liebe und sich selbst. Und war sie in der öffentlichen Wahrnehmung nicht immer die bourgeoise Blonde? Jene kühle, elegante Inkarnation der Konvention, die sie mit ihren Rollen allerdings unterwanderte und demontierte, wann immer sie es nur konnte? Deneuves beste Filme, so viel ist klar, handeln immer auch von Deneuve, ihrer Kino-Persona, ihrem Image, ihrem Geheimnis, ihrer Schönheit als condition cinématographique. Eben deshalb ist François Ozons neuer Film „Das Schmuckstück“ („Potiche“) nicht nur eine schöne Komödie, sondern eine eine ebenso schöne Hommage an eine Schauspielerin, die ihrer eigenen Gratwanderung zwischen Ich, Image und Selbstreferenz inzwischen mit gelassener Selbstironie begegnen kann.

Schon der Anfang ist eine Mischung aus schrillem Pop und Camp: Im knallroten Trainingsanzug, mit Betonfrisur und Haarnetz joggt Deneuve durch einen idyllischen Wald. Man könnte auch sagten: Sie läuft mit Tippelschrittchen und niedlich prustender Atmung wie eine Frau, die glaubt, dass sie joggt. In der Rolle der Fabrikantengattin Suzanne Pujol verfasst sie Naturgedichte und entzückt sich über niedliche Eichhörnchen und rammelnde Hasen.

Suzanne Pujol scheint ganz und gar zu sein, was der Titel sagt: das Schmuckstück. Die dekorative Frau an der Seite eines cholerischen Fabrikanten (Fabrice Luchini). Ein blondes Wesen, dessen spießig-schrille Siebziger-Jahre-Kleider mit den Tapeten und Möbeln der protzigen Villa zu verschmelzen scheinen. Die devote Hausfrau, die dem Ehemann die Herztropfen nachträgt und vor all seinen kleinen Lügen und großen Eskapaden lächelnd die Augen verschließt. Mit einem Text, der in jedem Satz mindestens eine Floskel unterbringt, ist diese Figur der Inbegriff eines Daseins, dem die Äußerlichkeit alles ist.

Eine der vielen Lektionen von Ozons Film besteht darin, dass dieses Bild nicht die ganze, ja nicht einmal die halbe Wahrheit ist. Als ihr Ehemann während eines Streiks einen Herzinfarkt erleidet, muss Suzanne die Initiative ergreifen. Und sie tut es auf ihre Weise. Sie stöckelt in Nerzstola und mit Perlenkette die Treppe ihres Hauses hinunter: „Ich muss meinen Angestellten doch zeigen, wofür sie gearbeitet haben.“

Suzanne übernimmt die Leitung der Regenschirmfabrik, verbessert Arbeitsbedingungen, entstaubt das Sortiment und zeigt überhaupt ungeahnte Führungsqualitäten. Wie jede gute Komödie enthält „Potiche“ auch ein Quentchen Bitterkeit und schließt damit an die Filmografie seiner Hauptdarstellerin an. Auch diese Deneuve-Figur ist eine Frau, die auf eine gelebte Liebe verzichtet.

Ozon zeichnet eine Frau, die die Rolle der perfekten Gattin spielte, ihren Mann aber bei jeder erst- und zweitbesten Gelegenheit betrügt. Elegant stellt dieser Film die Frage nach dem Preis, der für den schönen Schein, für das Leben in der Repräsentation bezahlt werden muss. Auf den neuen Karrierewegen begegnet Suzanne einer früheren Affäre wieder, dem heutigen Politiker Maurice Babin (Gérard Depardieu). Einmal sieht man die beiden in einem Nachtlokal mit synchronen Bewegungen zu Discomusik tanzen. Der Rhythmus stimmt, aber Deneuves Arme passen inzwischen nicht mehr um Depardieus mächtigen Bauch. Das ist eine anrührende Hommage an die französische Filmgeschichte, die Deneuve und Depardieu schon in „Wahl der Waffen“ von Alain Corneau und François Truffauts „Die letzte Metro“ vereinte.

Das Schöne an Ozons Film ist die Leichtigkeit, mit der er seine Themen verhandelt, die zarte Sentimentalität, mit der er auf die Kinogeschichte blickt, und die Zärtlichkeit, die er seinem Star entgegenbringt. Ganz nebenbei zerschreddert „Das Schmuckstück“ konservative französische Familienbilder und macht seine Heldin zu einer glamourösen Galionsfigur der Frauenbewegung. Was will man mehr? ANKE LEWEKE

■ „Das Schmuckstück“. Regie: François Ozon. Mit Catherine Deneuve, Gérard Depardieu u. a. Frankreich 2010, 104 Min.