Ein Kerzchen und kein Wort

Man kann die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, indem man sie verschweigt. Man muss sie aussprechen, zu ihr stehen. Und wenn es erforderlich ist, muss man sich für sie entschuldigen. Sonst versperrt sie den Weg in eine bessere Zukunft.

Zweimal hatte US-Präsident Barack Obama bei seiner Lateinamerikareise die Gelegenheit, zur dunklen Vergangenheit seines Landes auf dem südlichen Teil des Kontinents Stellung zu nehmen. Zweimal hat er sie nicht genutzt.

In Chile, im Regierungspalast Moneda, in dem am 11. September 1973 Präsident Salvador Allende mit der Unterstützung der USA ausgebombt wurde und starb, redete Obama um den heißen Brei herum. Man dürfe sich nicht von der Vergangenheit gefangen nehmen lassen. So argumentierten auch abgehalfterte Diktatoren in Lateinamerika, wenn es um die Aufarbeitung ihrer Taten geht: Nur nicht in alten Wunden rühren. Schwamm drüber und eine neue Seite aufschlagen.

In El Salvador vor dem Grab des Märtyrerbischofs Óscar Arnulfo Romero war der Auftritt Obamas noch peinlicher: Er zündete ein Kerzchen an und sprach kein Wort. Besser, er wäre nicht in die Krypta hinabgestiegen.

Romero ist am 24. März 1980 beim Zelebrieren einer Messe von einem Heckenschützen ermordet worden. Wenige Tage vor seinem Tod hatte er die herrschenden Militärs öffentlich aufgefordert, die blutige Repression jeglicher Opposition zu beenden. Der Gründer der Todesschwadronen und der späteren Regierungspartei Arena, Roberto D’Aubuisson Arrieta, plante den Mord und gab ihn in Auftrag. Die Tat war der Auslöser des zwölfjährigen Bürgerkriegs. 80.000 Menschen starben, 8.000 sind spurlos verschwunden.

El Salvador – ein Kleinstaat so groß wie Hessen – ist in diesen Jahren zum drittgrößten Empfänger von US-Militärhilfe aufgestiegen. Washington finanzierte das Gemetzel mit täglich einer Million Dollar: eine historische Schuld, bis heute. Damals begann die Massenflucht aus El Salvador. Heute lebt ein Drittel der Salvadorianer in den USA, meist illegal.

Würde Obama sich entschuldigen, wäre das nur glaubwürdig, wenn er gleichzeitig eine neue Migrationspolitik ankündigen würde. So etwas schafft jedoch innenpolitische Probleme. Eine nichtssagende Geste mit einem Kerzchen ist da schon billiger. Aber vor allem feige.

TONI KEPPELER