piwik no script img

Archiv-Artikel

Wer schafft es in die Innenstadt?

Der Protest gegen Preiserhöhungen bei der Straßenbahn hat in Bremen historische Dimensionen. Den jüngsten Verteuerungen soll nun in Gestalt eines „Sozialtickets“ Paroli geboten werden

Von Henning Bleyl

Ein gutes Viertel der benötigten Unterschriften ist schon zusammen, bis Ende März sollen es 9.500 sein: Dann kann die Initiative „Sozialticket“ ihren Bürgerantrag auf verbilligte Monatskarten für die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) im Parlament einbringen. Ausgangspunkt der Initiative waren die jüngsten Preiserhöhungen der BSAG – zum 1. Januar 2007 belegte sie beispielsweise die Nachtlinien mit einem pauschalen Aufschlag von einem Euro.

„Ein Recht auf Mobilität steht allen zu“, formuliert die Initiative in ihrem Aufruf. Eine Langstrecke für 2,10 Euro (Preisstufe I – rabattiert 1,89 Euro) oder auch ein Monatsticket für derzeit 34,20 im Jahresabo sei für sozial Schwächere unbezahlbar. In der Tat sehen die Bestimmungen für ALG II und Sozialgeld für den Bereich „Mobilität“ gerade mal Ausgaben von 18,11 Euro monatlich vor. Anders gesagt: Ein Mal pro Woche kann man sich eine Hin- und Rückfahrt leisten.

Dabei gebe es ohne Mobilität weder Bewerbungen noch Jobsuche, argumentiert die Initiative, ganz zu schweigen von der „Teilhabe am öffentlichen, kulturellen und sozialen Leben“. Deswegen müsse ein Monatsticket (Preisstufe I) für Behinderte, EmpfängerInnen von ALG II, Sozialgeld und entsprechenden anderen Leistungen für 15 Euro zu haben sein.

Bei der BSAG verweist man darauf, dass die Einführung eines Sozialtickets „Sache der Politik“ sei. Auch die Initiative sieht den Senat in der sozialen Pflicht, der BSAG dürften keine Einbußen auferlegt werden. Insgesamt rechnet man laut Andreas Hein mit Mehrkosten von jährlich unter einer halben Million Euro, die durch eine Einführung des Sozialtickets entstünden. Nicht alle der rund 100.000 Bezugsberechtigten würden es in Anspruch nehmen, umgekehrt jedoch könne die BSAG mit seiner Einführung eine erhebliche Zahl an Neukunden gewinnen. Auch „der materielle Druck, eventuell ohne Ticket zu fahren“, nehme ab, gibt Heins Mitstreiterin Inga Nitz zu bedenken.

Auffällig ist, dass die Initiative in erster Linie von der „Linkspartei“ – Hein und Nitz sind zugleich in der Partei aktiv – und kleineren Gruppierungen wie der „Feministischen Partei“ unterstützt wird. Die Grünen aber fehlen, obwohl sie die Einführung eines Sozialtickets bereits als Regierungspartei in der Ampelkoalition forderten. „Wir haben derzeit andere Schwerpunkte wie Kinderarmut und Barrierefreiheit“, erklärt Dirk Schmidtmann, sozialpolitischer Sprecher der Partei. „Selbstverständlich“ sei die Forderung nach erschwinglichen Beförderungspreisen nach wie vor richtig, wobei ihm der angepeilte Preis von 15 Euro allerdings „arg an der Realität vorbei“ kalkuliert vorkomme.

In Hamburg mit seinem ungleich größeren ÖPNV-Netz allerdings existierte das Sozialticket in genau dieser Größenordnung (15,50 Euro ) – bis es von Schwarz-Schill abgeschafft wurde. Auch etliche kleinere Kommunen haben Sozialtickets eingeführt, in Rostock wird derzeit diskutiert, am billigsten ist es im österreichischen Linz: Dort beschloss das sozialdemokratisch dominierte Stadtparlament kürzlich eine Vergünstigung des „Linzpass“ von 17 auf 10 Euro.

Nicht hinnehmbar, sagt Hein, sei allerdings eine Situation wie in Berlin: Dort war das damals für 20,40 Euro zu habende Sozialticket Anfang 2004 von den Verkehrsbetrieben gekündigt worden. Der rotrote Senat erreichte nach heftigen Protesten eine Wiedereinführung, doch für das neue „Sozialticket“ müssen mittlerweile 33,50 bezahlt werden – es ist preislich als 50 Prozent der dortigen Umweltkarte definiert.

In Bremen könnte das Ticket nach Vorstellungen der Initiative auch als Ausweis für vergünstigten Zugang zu Schwimmbädern und Museen dienen. Zunächst aber fehlen zu seiner Diskussion im Parlament noch rund 7.000 Unterschriften, wobei sich laut Artikel 87 der Landesverfassung auch Nicht-Volljährige (ab 16 Jahren) in die Listen eintragen können. Bisher sei überwiegend „im privaten Umfeld“ gesammelt worden, sagt Hein, jetzt aber wolle man den Antrag verstärkt auf die Straße tragen.