Da war doch mal was

Das Sommermärchen endet auf Zypern: Bundestrainer Joachim Löw übt sich nach dem mauen 1:1 gegen wuselige Insulaner in Relativierung. Mit dem Spiel sei er „nicht unbedingt glücklich“, sehe das gesamte Jahr aber „absolut positiv“

AUS NIKOSIAANDREAS RÜTTENAUER

Es ist also passiert. Die deutsche Nationalmannschaft hat ein „typisches Qualifikationsspiel“ abgeliefert. So hat Michael Ballack die Begegnung gegen Zypern bezeichnet. Und niemand unter den versammelten Pressevertretern hat dem Kapitän übel genommen, dass er nicht so richtig schlimm gefunden hat, wie sich die Deutschen in Nikosia am Mittwochabend zu einem Unentschieden gequält haben. Auch der Bundestrainer wollte partout nicht böse sein auf seine Mannschaft. „Nicht unbedingt glücklich“ sei er über das, was er sehen musste, sagte er. Etwas unwirsch reagierte er einzig auf die Frage eines Journalisten aus Zypern, der fragte, ob es im deutschen Fußball der Gegenwart nicht zu wenig Spielerpersönlichkeiten gebe. Löws Antwort: „Ich glaube, da müssen Sie sich einfach ein paar Spiele der Weltmeisterschaft noch einmal ansehen.“

Da war sie also wieder, die Weltmeisterschaft. Sie wirkt immer noch nach. Und selbst nach einem beinahe schon blamablen 1:1 gegen Zypern kann sie immer noch dazu dienen, den deutschen Fußball gut aussehen zu lassen. Das Fazit, das Löw nach dem letzten Länderspiel des Jahres gezogen hat, fiel „absolut positiv“ aus. Deutschland stehe besser da als alle anderen Mannschaften, die bei der Weltmeisterschaft weit gekommen seien. „Italien, Frankreich, Portugal, England, die haben alle schon verloren“, sagte der Bundestrainer. Und an Persönlichkeiten mangele es den Deutschen ganz und gar nicht. Er zählte auf: Michael Ballack, Philipp Lahm, Torsten Frings, Miroslav Klose. Nein, Joachim Löw wollte sich das Jahr nicht schlechtmachen lassen, nur weil die Mannschaft zum Jahresende ein mieseres Spiel abgeliefert hat.

Der Bundestrainer hat an diesem Mittwochabend eine neue Rolle gespielt, eine, die wir wahrscheinlich noch öfter von ihm zu sehen bekommen werden. Zum ersten Mal hatte er nach dem Spiel nicht die Möglichkeit, über sein Lieblingsthema, die Taktik, zu sprechen, über Positionen auf dem Feld, über Laufwege und über systematisch vorgetragene Angriffe. Er fühlte sich erstmals dazu genötigt, den Trainervater zu geben und sich vor seine Mannschaft zu stellen. Die sei nach den vielen Spielen, auch bei der WM, eben nicht mehr frisch genug gewesen, um gegen Zypern nach dem Ausgleich der Gastgeber noch einmal das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen: „Ich habe einige Spieler auf der Massagebank liegen sehen, die waren völlig ausgelaugt.“ Dass die Deutschen vor allem gefährlich waren, wenn hohe Bälle aus dem Halbfeld in den Strafraum geschlagen wurden, müsste den Bundestrainer eigentlich maßlos geärgert haben. Nach den letzten Spielen jedenfalls äußerte er seinen Unmut über jeden hoch nach vorne geschlagenen Ball in aller Öffentlichkeit. Diese Spiele aber hatten die Deutschen allesamt gewonnen. Die Erfolge waren Voraussetzung für Löws öffentliche Taktikschulungen.

Jetzt wissen wir also, wie es aussieht, wenn der Bundestrainer in die Defensive gerät und die Fußballnation mit nichts anderem zu trösten weiß als mit der Erinnerung an die Weltmeisterschaft. Damals und auch in den Partien danach traten seine Spieler mit einer selten gesehenen Konstanz auf. Am Mittwoch hat jeder sehen können, dass es auch Spiele gibt, in denen Lahm nicht überragend agiert, in denen das Engagement von Torsten Frings nicht in absolute Dominanz im defensiven Mittelfeld mündet, in denen Michael Ballacks Kopfballstärke das wesentliche Element der Offensive ist. Typisch waren solche Spiele, als Deutschland zum letzten Mal an einer Qualifikationsrunde teilgenommen hat, da hat der Kapitän durchaus recht. Die Realität ist wieder eingekehrt ins Fußballmärchenland.

Die Erfolge der Nationalmannschaft waren in diesem Jahr das Ergebnis einer konzentrierten Arbeit mit den Spielern. Die Mannschaft lebt nicht von den Geniestreichen großer Fußballkünstler, die gibt es im Team auch unter den von Löw als Spielerpersönlichkeit genannten Kickern nicht wirklich. Das Team war am besten, als es am besten vorbereitet war, die Spieler am besten aufeinander eingestellt waren. Von alleine läuft der deutsche Fußball nicht von Erfolg zu Erfolg. Auch wenn die Auftritte der Deutschen mit Beginn der WM bisweilen äußerst sehenswert waren, sie waren doch das Ergebnis disziplinierten Werkelns im Hintergrund. Dass es weiterhin die Möglichkeit gibt, viel miteinander zu arbeiten, darum muss jetzt gekämpft werden. Das Gemeckere von Ligatrainern und Ligamanagern, die sich über zu viele Länderspiele im Terminkalender ihrer besten Akteure ärgern, mag aus deren Perspektive betrachtet nachvollziehbar sein. Sollten sie sich aber durchsetzen, so wie bei der Diskussion um das geplante Testspiel am 27. März 2007 in Duisburg, das zu einem Schaulaufen eines so genannten Perspektivteams verkommen soll, dann könnten Auftritte wie die von Nikosia am Mittwoch wieder zur Regel werden.

Die Argumente der DFB-Verantwortlichen – hier ist jetzt vor allem Team-Manager Oliver Bierhoff gefordert – könnten kaum besser sein derzeit. Es waren die Erfolge der Nationalmannschaft in diesem Jahr, die dem deutschen Fußball international wieder zu mehr Reputation verholfen haben. Die Klubs haben zum Großteil versagt auf internationaler Bühne. An sie wird keiner denken, wenn er das Fußballjahr Revue passieren lässt. Wer an deutschen Fußball denkt, meint derzeit meist die Nationalmannschaft. Ein Unentschieden auf Zypern wird das nicht ändern können. Und wenn das Team weiter an sich arbeiten darf, könnte es auch so bleiben.