: Kulanz für Touris und Verwirrte
SCHWARZFAHREN
Stellen Sie sich vor, Sie sind ein chinesischer Tourist und wollen ein BVG-Ticket kaufen. Obwohl, nein: Chinesisch ist für eine Stadt wie Berlin noch viel zu exotisch. Sagen wir also: Sie sind ein italienischer Tourist und wollen ein BVG-Ticket kaufen. Italienisch spricht der Automat zwar auch nicht, aber Spanisch, Französisch, das werden Sie ja noch irgendwie verstehen.
Darüber hinaus haben Sie, jedenfalls in unserem Beispiel, das Glück, allein und nur für diesen einen Tag in der Stadt zu sein. Komplizierte Berechnungen, welche Gruppenkarte sich ab wie vielen Tagen lohnt, fallen weg. Sie erwerben eine Einzelfahrkarte AB, setzen sich in die Ringbahn und genießen die Aussicht. Alles prima – wenn nur nicht irgendwann dieser Kontrolleur vor Ihnen stünde, der Ihnen in schlechtem Englisch und mit wenig Sinn für Humor zu verstehen gibt, dass Ihr Ticket nicht mehr gültig ist. Nanu, denken Sie: Da stand doch was von zwei Stunden?
Egal ob Sie irgendwann begreifen, dass die zwei Stunden nur in eine Richtung gelten, Sie sich aber längst wieder Ihrem Abfahrtsort nähern – Sie müssen jetzt sehr freundlich sein. Wenn Ihr Kontrolleur am Morgen mit dem richtigen Fuß aufgestanden ist, lässt er Sie laufen. Wenn nicht, dürfen Sie 40 Euro berappen. Bzw. Ihren Ausweis zeigen und hoffen, dass man Ihnen keine Mahnung hinterherschickt. Wobei Sie da als Chinese wieder deutlich bessere Karten hätten.
Sprich: Zum Schwarzfahrer wird man schneller, als man denkt. Misslich findet das auch Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD). In seiner Antwort auf eine parlamentarische Anfrage hat er jetzt seinen Willen bekundet, „unverschuldetes Schwarzfahren“, das ja längst nicht nur Touristen betrifft, einzudämmen: durch „Stärkung der Fahrgastrechte, eine Ausgestaltung der entsprechenden Verkehrsverträge und Appelle an die Verkehrsunternehmen“.
Was das bedeutet (insbesondere der Punkt mit den Verkehrsunternehmen, denn wer befolgt schon Appelle?), wird sich zeigen. Dabei wäre es so einfach, echte Kulanz an die Stelle von Willkür des Kontrolleurs zu setzen: durch eine Freischussregelung. Teuer würde Schwarzfahren erst beim zweiten Mal ohne gültiges Ticket, Touristen und andere Verwirrte bekämen ihre Chance. Für das Image der Stadt wäre das von Vorteil. Auch wenn das jetzt für die beteiligten Unternehmen und vermutlich auch den Staatssekretär wie Chinesisch klingt: Eine solche Regelung ist möglich – wenn man sie will. CLAUDIUS PRÖSSER