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Archiv-Artikel

Der Siegeszug der populären Bildmotive

KAPITALISTISCHER REALISMUS René Block zeigt Grafik aus der Zeit seiner Schöneberger „Kampf- und Programmgalerie“

Nicht, dass der real existierende Kapitalismus seine Anziehungskraft auf die Kunst verloren hätte

Als der zurückgetretene Verteidigungsminister zu Guttenberg im Berliner Bendlerblock mit dem Großen Zapfenstreich geehrt wurde, schallten ungewohnte Klänge über den Exerzierplatz. Das Stabsorchester der Bundeswehr intonierte mit dem Hardrocksong „Smoke on the water“ der Gruppe Deep Purple einen Klassiker des Pop aus dem Jahr 1972. Ob die Künstler Konrad Lueg, Gerhard Richter und Sigmar Polke dieser Kunstrichtung heute wieder eine Aktion widmen würden wie zu Beginn der sechziger Jahre, wenn sie gewusst hätten, wer sich davon angesprochen fühlt?

„Kapitalistischer Realismus“ nannten sie im Oktober 1963 ein legendäres Happening im Düsseldorfer Möbelhaus Berges. Damit wollten sie sich vom „sozialistischen Realismus“ abgrenzen. Irgendwie konnte man aus der Performance zwischen Nierentischen, Fernsehgeräten und Kleidern von Joseph Beuys aber auch eine ironische Distanzierung von der Konsumkultur des Kapitalismus herauslesen. Doch immerhin warben sie damals für ein „Leben mit Pop“.

Die alte Frage, ob der „kapitalistische Realismus“ nun eine Methode der künstlerischen Gesellschaftskritik war oder nicht, lässt sich auch in René Blocks Ausstellung mit Druckgrafiken aus dieser Zeit nicht endgültig klären. Es finden sich darin ebenso viel Belege für die These wie gegen sie. Wolf Vostells Siebdruck „Lippenstiftbomber“ aus dem Jahr 1968, auf dem aus dem Foto eines amerikanischen Kampfflugzeugs die Kosmetikfetische wie Bomben fallen, lässt sich nur schwer anders lesen denn als kongeniale Kritik des Vietnamkrieges. Und auch KP Brehmers Klischeedruck „Testbild TV Braunwerte“, wo sich die Balken des TV-Testbilds plötzlich zum Hakenkreuz fügen, ist eindeutig.

Aber schon die Blümchentapeten und Rasterpunkte Sigmar Polkes schillerten verführerisch zwischen Affirmation und Kritik. 1964, ein Jahr nach der Düsseldorfer Aktion, hatte der damals 22-jährige Kunstvermittler René Block in seiner Schöneberger „Kampf- und Programmgalerie“ mit einer „demonstrativen Ausstellung“ dieser und ein paar anderer kapitalistischer Realisten den Grundstein für den Mythos der politischen Kunstrichtung gelegt.

Wer sie noch nicht kennt, kann an den letzten Exemplaren von Blocks legendärer Edition zur Druckgrafik, die der Ausstellung 1968 folgte, noch einmal den Siegeszug der populären Bildmotive in der Kunst nachvollziehen: Mit der Badenixe aus der Werbung bis zum Handmixer. Den „unconditional surrender“ vor den Lebenswelten des Konsum, den der Berliner Kritiker Heinz Ohff damals bejubelte, würde heute wahrscheinlich kaum ein warenweltaffiner Künstler mehr derart enthusiastisch vollziehen. So flächendeckend dominiert die Massenkultur inzwischen Kunst wie Leben.

Nicht, dass der real existierende Kapitalismus seine Anziehungskraft auf die Kunst verloren hätte. Doch den neuen Realisten, die sich heute daranmachen, unsere kapitalistischen Lebenswelten (kritisch) zu protokollieren, würde man so viel formale Raffinesse und selbstreflexiven Humor wünschen, wie ihn K. H. Hödicke mit seinem Siebdruck „Magic Window Cleaner II“ aus dem Jahr 1967 demonstrierte. Der freie Streifen, den ein Handwischer da auf einer verdreckten Fensterscheibe freigezogen hat, gibt nicht den Blick auf die reale Welt dahinter frei, sondern nur auf die rote Farbe, mit der die Plexiglasfläche auf der Rückseite bestrichen ist. In diesem Spiegel sieht der Betrachter nur sich selbst. INGO AREND

■ Bis 30. Juli, Edition Block, Heidestraße 50, Katalog (Kerber) 18 Euro