WANDERLUST?

Trotz Wanderfrust?

Sinnvoll ist das nicht: Da stapfen sie tagelang in schmatzenden Schuhen durch schottische Sümpfe, quälen sich blasenwerfend die Flanken des Hochgrat hoch, nähren sich mühsam von hitzegewellten Käsebroten und Landjägern zu Goldgräberpreisen. Die Liste der Ärgernisse beim Wandern ist endlos, und sie kann, nach den Gesetzen der Logik, nur in einem Plädoyer gipfeln: Bleibt gefälligst zu Hause! Jeder sieht es ein, niemand hält sich daran. Handelt es sich also bei der Internationalen der Wanderer um wenig mehr als eine Horde hypermobiler Masochisten mit beschränktem Horizont? Oder ist was dran am Unterwegssein zu Fuß? Mit anderen Worten: Warum tun die das?

Vielleicht hatte ja Bruce Chatwin Recht. Wir alle, mutmaßte er, hätten in prähistorischen Zeiten zusammen mit der Urmuttermilch den Rhythmus der Schritte unserer Nomadenahnen eingesogen. Und fest in unseren Genen verankert. Seitdem, schlussfolgern Generationen von Tippelbrüdern messerscharf, liege uns das Herumziehen im Blut. Möglicherweise ist es aber auch der Kopf, der uns immer wieder hinaus ins Wanderleben schickt. Gnadenlos will er vom Körper wissen, was Sache ist: Geht der Fünftausender noch? Steckst du die 39 Grad weg? Fluchst du jetzt schon bei Kilometer 29? Wird es also Zeit fürs Weserbergland? Kann aber auch sein, es ist es noch mal ganz anders. Und unsere Haut giert einfach nach Sonne und Hagel, nach den neuen, den stärkeren Reizen, dem Beweis, dass wir ein besonders leckeres Stück vom Lebenskuchen abbekommen haben. Die Augen verlangen nach noch nie gesehenen Kathedralen aus Eis, der Gaumen nach unbekannten laotischen Currys und das Herz, dieser unstete Jäger, nach Menschen weltweit und ihren Geschichten. Und die Beine – die Beine wollen abends einfach zittern vor Erschöpfung. Vielleicht ist es so. Vielleicht aber auch viel einfacher: Bei den einen kribbelt’s im Bauch. Bei den anderen in den Waden. Die einen haben Sommersprossen auf der Nase. Und die anderen Hummeln im Hintern.

FRANZ LERCHENMÜLLER

taz-Veranstaltung: „Das Glück zu Fuß – die neue Lust am Wandern“, am Mittwoch, den 7. 3. um 20 Uhr im tazcafé in der Kochstr. 18. Es lesen: Wolfgang Büscher („Berlin–Moskau“) und Ulrich Grober („Vom Wandern“). Anschließend Diskussion