„Wir werden unabhängig sein“

Kommunist? Ja. Stalinist? Nein. Matthias Oehme, neuer Besitzer des Rotbuch Verlages, über Pläne, Überraschungen bei der Sichtung der Bestände und die Kritik der Autoren

Der 1973 gegründete Rotbuch Verlag wurde in der vergangenen Woche überraschend von der Europäischen Verlagsanstalt an die Verlagsgruppe Eulenspiegel verkauft. Autoren wie F. C. Delius oder Herta Müller beschwerten sich daraufhin, dass sie nun in einem Verlagshaus mit Egon Krenz oder Markus Wolf seien. Dass Markus Wolf zuvor bereits Rotbuch-Autor gewesen war, galt ihnen nicht als Gegenargument. György Dalos zog ein für das Frühjahr angekündigtes Buch zurück. Feridun Zaimoglu dagegen erregte sich über die „tantigen Großschriftstellerdarsteller“, die da protestierten. Matthias Oehme, promovierter Literaturhistoriker, leitet seit 1993 den Eulenspiegel Verlag. Der Rotbuch Verlag wird nun aus Hamburg zurück an seinen Gründungsort Berlin ziehen.

taz: Herr Oehme, sind Sie Stalinist?

Matthias Oehme: Nein, das, was unter Stalinismus verstanden wird, hat mit dem, was ich denke, nichts zu tun. Wenn mich jemand aber einen Kommunisten nennt, dann schmeichelt mir das.

Ihnen wird aber von einigen ehemaligen Autoren des Rotbuch Verlages vorgeworfen, stalinistisch zu sein.

Das ist doch ganz klar, das liegt an Büchern, die bei uns erschienen sind, von Autoren, die mit der DDR zu tun hatten, Funktionäre waren. Die Vorwürfe sind ja auch gerechtfertigt. Wenn man die Grundfrage stellt: Definieren sich die Linken heute sehr stark über die Verwerfung der DDR, ja oder nein?, dann ist das gerechtfertigt. Ich allerdings sehe das überhaupt nicht so.

Was werden Sie mit György Dalos machen, der bekannt hat, nicht in Ihrer Verlagsgruppe veröffentlichen zu wollen?

Ich habe ihm gesagt, dass ich das akzeptiere und respektiere, und wir sind so verblieben, dass er zunächst die Sache ruhen lässt und wir gegebenenfalls auch den aktuellen Vertrag auflösen. Sollte er es sich wieder anders überlegen, ist er willkommen. Ich möchte seine Bücher gern weiter herausbringen, aber ich werde ganz bestimmt keinen Autor zwingen, im Verlag zu bleiben.

Also würden Sie auch Herta Müller oder F. C. Delius, die nun laut protestieren, die Rechte an ihren Büchern zurückgeben?

Selbstverständlich. Doch ich fürchte, der Rotbuch Verlag hat keine Rechte mehr an ihren Werken, da sie ja schon lange nicht mehr Verlagsautoren waren.

Das heißt, es beklagen sich die, die eigentlich keinen Anlass haben, sich zu beklagen?

Das ist, soweit ich einen Überblick habe, richtig. Und in den letzten Tagen haben sich etliche Autoren bei uns gemeldet, die eigentlich sehr froh sind über die Entwicklung und es begrüßen, sich nun wieder in einem Verlagsumfeld, das sie als links ansehen, zu befinden.

Sie sagen: soweit ich einen Überblick habe. Sind denn die Verhältnisse bei dem Verlag so unüberschaubar?

Wir haben einfach noch nicht alle Unterlagen sichten können, das ist ein riesiger Berg. Und zunächst beschäftigen uns ja die ganz aktuellen Fragen, also die jetzt erscheinenden Bücher. Es müssen erst mal Leute da sein, die sich damit auseinandersetzen, und das wird ab nächster Woche der Fall sein.

Es hieß zunächst, Sie hätten nur 120 Backlist-Titel erworben, dann wieder, Sie hätten es mit zum Teil noch aus den 80er-Jahren stammenden Lagerbeständen zu tun. Was stimmt?

Vertrieblich ist es schon ein bisschen durcheinander, und zwar weil es einen großen Unterschied zwischen den lieferbar gemeldeten und den tatsächlich lieferbaren Titeln gibt. In der Tat gibt es auch einige Bestände aus den 80er-Jahren, und das ist für den Vertrieb ein sehr problematisches Feld.

Die Rotbuch-Frühjahrsvorschau kündigt „Die Herren des Morgengrauens“ von Peter O. Chotjewitz an, als Neuerscheinung im Mai. Das abgebildete Cover aber lässt vermuten, dass es Restbestände der Auflage von 1997 sind. Sind das, sagen wir, originelle Vertriebsaktionen?

Ich bin Ihnen nicht böse, dass Sie mich für die von uns nicht verantwortete Vorschau in die Haftung nehmen. Ich weiß, dass der Titel lieferbar ist und dass er jetzt – anlässlich des 30. Jahrestages des Deutschen Herbstes – noch mal mit in die Vorschau aufgenommen wurde. Warum er dort als Neuerscheinung steht, ist mir nicht klar, es ist jedenfalls keine Neuauflage.

Olaf Irlenkäuser, der bis vor drei Jahren schon einmal die Geschicke des Verlages leitete, wird Rotbuch nun innerhalb Ihrer Verlagsgruppe leiten. Darf er eigenständig arbeiten?

Das ist die Abmachung zwischen uns. Er hat freie Hand und wird das Programm nach seinen Vorstellungen planen. Wir haben uns verständigt, an welche Tradition wir anknüpfen wollen und dass wir Krimi und Belletristik weitermachen wollen, doch auch ein starkes Sachbuchprogramm. Olaf Irlenkäuser wird für dieses Programm aber allein die Verantwortung tragen.

Wird der Verlag dann wieder zu dem, der er einmal war?

Ganz wird das natürlich nicht möglich sein. Aber er wird eine ganz andere Unabhängigkeit haben, als er sie zuletzt hatte, er war ja eher etwas untergegangen. Das wollen wir ändern.

Auf der Website präsentiert sich Rotbuch mit einem schwarzen Logo. Schwarz ist die Farbe der Anarchie. Sie befördern die innerlinke Konkurrenz?

Anarchisten sind Bündnispartner, würde ein orthodoxer Kommunist sagen. Aber das ist unser erster Logoentwurf, ich bitte Sie, diesen noch nicht für den endgültigen anzusehen.

INTERVIEW: JÖRG SUNDERMEIER