Starke Blubbrigkeit im Knie

Texte, die das Leben schrieb: Die Hamburger Künstlergruppe „Reproducts“ bietet in einem kürzlich eröffneten Internet-Portal auf Flohmärkten erworbene Postkarten mit vergnüglichen Stilblüten feil. Und hofft, dass irgendwer irgendwelche davon kauft

Angefangen haben sie 1989 als Performer. Als sechsköpfiges Künstlerkollektiv namens „Reproducts“, das absurde Situationen – etwa die einer paranoiden Reise – auf die Bühne brachte. Dann wieder haben sie auf Flohmärkten gekaufte Postkarten per Dia an die Wand projiziert. Die entstammten dem Nachlass einer bettlägerigen alten Dame, die Karten gleichfalls bettlägriger alter Menschen bekam. „Postkarten haben uns seit Beginn unserer Arbeit interessiert“, sagt Künstler Stefan Eckel.

Im Januar hat er mit zwei weiteren „Reproducts“-Künstlern das Projekt „Repropost“ gegründet und das Internet-Portal www.repropost.de eröffnet: Postkarten bieten sie dort zum Verkauf an. Allerdings nicht irgendwelche: „Wir haben ein Archiv, das mit rund 10.000 Karten bestückt ist, die wir auf Flohmärkten erworben haben“, sagt Eckel. Die wirken zunächst unspektakulär: Landschaften und Städteansichten sind da versammelt, teils geschmackvoll, teils nicht. 170 Exemplare haben die Künstler für ihr Internet-Angebot ausgewählt, unterteilt in „Repropost-Objekte“, „Readymade-Objekte“ und unbeschriftete „Ansichtskarten Classic“.

Und auch wenn Ecker große Stücke auf die „Repropost-Objekte“ hält – Karten, die die Künstler selbst beschriftet haben – sind die authentischen „Readymade-Karten“ doch die originellsten: Deren Verfasser berichten „live“ vom „Gerichtsvollzieher der A.O.K.“ und von einer starken „Blubbrigkeit im Knie“. Auch lernt man, dass die Italiener „angenehme Menschen sind, wie immer“ und dass Düsseldorf „fast wie Dortmund ist, nur größer“.

„Das sind Texte, auf die man selbst gar nicht käme“, sagt Ecker vergnügt. Und genau deshalb hofft er, dass Interessenten zehn bis 20 Euro pro Repropost-Karte bezahlen. Aber warum sollten sie das tun? „Weil wir hier den Service einer Vorauswahl bieten – für Leute, die ähnlich Absurdes lieben wie wir.“ Dass die Karten dabei auch durch Künstlerhände gehen, findet er nebensächlich. Man habe nicht vor, die Objekte mit Bedeutung aufzuladen.

Das Ensemble „Reproducts“ betrachtet das gewerbliche Feilbieten der Karten vielmehr als Fortschritt der künstlerischen Arbeit. „Bislang waren wir einfach unfähig, irgendeines unserer Bilder wegzugeben. Käufliche Kunst war für uns außerdem keine Kunst mehr. Aber inzwischen sehen wir das nicht mehr so eng.“ Man habe nämlich beschlossen, „erwachsen zu werden, sprich: mit Geld in diesem Bereich umgehen zu lernen und unsere Kunst loszulassen.“ Ganz loslassen, wirklich? „Digitale Kopien der Karten behalten wir natürlich. Auch die Texte bleiben gespeichert. Wer weiß, in welchen Geschichtenfundus die dereinst eingehen werden.“ PS