: Der alte neue Kandidat
Die Findungskommission tagt: Die glücklose Kandidatenkür der Hamburger SPD läuft auf Altbürgermeister Henning Voscherau heraus. Der hat den Machtverlust von 1997 nie überwunden
VON ELKE SPANNER
Die Versuchung ist groß, bei der Beschreibung Henning Voscheraus in einen royalistischen Sprachgebrauch zu verfallen. Sollten sich die Hamburger Sozialdemokraten gestern nach Redaktionsschluss für Voscherau als Spitzenkandidaten entschieden haben, stünde dem berufsjugendlichen Bürgermeister Ole von Beust (CDU), der allerorten nur „Ole“ heißt, ein konservativer Hanseat gegenüber, den höchstens die engsten Freunde beim Vornamen nennen würden. In seiner Zeit als Bürgermeister von 1988 bis 1997 galt Voscherau als autoritärer Regent – auch als ungekrönten König bezeichneten ihn seine Genossen. Nun scheint es, als wolle er ein weiteres Mal auf den Thron.
Der Figur Henning Voscherau haftet etwas Tragisches an: Mit ihm soll den Sozialdemokraten die Zukunft ausgerechnet jemand bringen, der eigentlich schon der Vergangenheit angehört. Vor einem halben Jahr noch, als er sich selbst als Spitzenkandidat ins Gespräch gebracht hatte, musste er sich als Relikt aus vergangenen Tagen belächeln lassen. Jetzt gilt er plötzlich als Hoffnungsträger.
Für Voscherau persönlich ist es demütigend, dass es einer solchen Notlage bedarf, damit er wieder zum Zuge kommt. Er hat es nie so recht verschmerzt, den städtischen Chefsessel 1997 wegen eines katastrophalen Wahlergebnisses verlassen zu haben. Stünde die Hamburger SPD nicht an der Grenze der Selbstzerfleischung, dürfte der 65-Jährige auch niemals wieder ran. Er ist ein Krisengewinnler, nach den Rivalen Matthias Petersen und Dorothee Stapelfeld die dritte Wahl. Keine ruhmvolle Rolle.
Dabei ist Voscherau ein durchaus eitler Mensch, ist bei ihm die Grenze zwischen Selbstbewusstsein und -verliebtheit schmal. Der hagere Grauhaarige mit dem aufrechten Gang ist der klassisch-bürgerliche Hanseat, Notar, verheiratet, drei Kinder. Privat zeigt er sich gerne in einer dunkelblauen Schiffermütze, wie sie nur in maritimen Gegenden zu bekommen ist.
Seine gediegene Rolle hat er so verinnerlicht, dass es ihm schwer fällt, auch denen Respekt entgegenzubringen, die sich für einen anderen Lebensstil entschieden haben. Über die Grünen etwa hat Voscherau stets die Nase gerümpft. Schlichtweg verkannte er, dass an einer Koalition mit ihnen kein Weg vorbeiführen würde, wollte er in der Regierung bleiben. Als das Ergebnis der Bürgerschaftswahl 1997 ihn vor die Alternative zwang, zu gehen oder mit den ungeliebten Grünen weiterzumachen, räumte Voscherau lieber den Chefsessel, als einer Krista Sager neben sich einen Platz anzubieten.
Nicht selten wurde damals über Voscherau gesagt, er sei ein Konservativer mit falschem Parteibuch. In seiner Partei zählt er zum rechten Lager, als Bürgermeister verlangte er „null Toleranz“ nach New Yorker Vorbild. Er sprach sich für mehr Obrigkeitsstaat und schärfere Gesetze aus, ebenso für ein Bettelverbot in Hamburgs Innenstadt. Andererseits hat er als erster Politiker bundesweit die kontrollierte Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige vorgeschlagen.
Das Trauma von 1997 hat Voscherau nie verschmerzt. Tatenlos musste er etwa über die Jahre mit ansehen, wie die CDU-Regierung sich mit der Hafencity schmückte, deren geistiger Architekt er selbst einmal war. Für die SPD in ihrer verzweifelten Lage indes mag es ein Glück sein, dass Voscherau sich offenbar nur auf dem Sessel des Bürgermeisters therapieren kann.
Sollte er nun gegen von Beust antreten, wiederholte sich ein schon einmal ausgetragenes Duell: Auch bei der Wahl 1997 standen sich die beiden gegenüber. Damals haben beide verloren, und Bürgermeister wurde mit Ortwin Runde ein anderer Sozialdemokrat. Der war sich nicht zu fein dafür, zusammen mit den Grünen ins Rathaus einzuziehen. Damals war von Beust noch der Herausforderer. „Ich kannte den Ole schon, als er noch in kurzen Hosen herumlief“, hatte Voscherau noch gelästert. Heute ist „der Ole“ Bürgermeister. Und Voscherau der, der von ganz unten am Thron kratzt.