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Archiv-Artikel

Weißer Strich an der Berliner Mauer

betr.: „Zwei Ideen, drei Farben, fertig“, tazplan vom 27. 2. 07

So schnell, wie Tim Ackermann in seiner Rezension des von Ralf Gründer herausgegebenen Mauerkunstbuchs behauptet, musste man während einer Malaktion am „antfaschistischen Schutzwall“ in der Regel nicht sein. Die Grepos hätten mit ständigen Verhaftungen aufgrund der Vielzahl von Malaktionen viel zu viel Arbeit gehabt.

In der Regel war es so, dass man die Observ(ier)er auf dem Wachturm nur einmal unbeobachtet unterlaufen musste, nämlich dann, wenn sie gerade ihre eigene Bevölkerung mit dem Fernglas bespitzelten, um dann quasi optisch geschützt vom Schutzwall einen Flecken der Mauer bemalen zu können. Wenn die deutsch-deutsche Grenze nicht fließend war, der im Westteil Berlins zur DDR gehörende Fünf-Meter-Grenzbereich vor der Mauer war es ganz sicher. Und nicht selten verletzte ein Westberliner „die Staatsgrenze der DDR“, indem er sich einfach – ob mit oder ohne Farbeimer – auf diesem zu Ostberlin gehörenden Territorium fortbewegte.

Jedoch bestätigten natürlich auch hier Ausnahmen die Regel. Als ich dann doch von den MP-(ver-)zückenden Grepos „auf frischer Tat“ gestellt wurde, hatte die Malaktion bereits den Bereich vom Mariannenplatz bis zum damaligen Lenné-Dreieck erfasst. Wir (ich und vier Beteiligte) waren den Turmwächtern bereits mehrmals aufgefallen und es hatte schon am Checkpoint Charly Konflikte zwischen uns und den Grenzposten gegeben. Nicht zuletzt führte das rätselhafte Malmotiv zu dringendem Aufklärungsbedarf beim MfS: Bedeutete das Ziehen eines weißen Striches entlang der Berliner Mauer etwa eine medial inszenierte Provokation der Springer-Presse oder war es womöglich sogar die künstlerisch getarnte Skizzierung eines geplanten Sprengstoffanschlags?

So wurde ich am Morgen eines tristen Novembertags im waldigen Dickicht des Tiergartens unweit des Brandenburger Tors nach Ostberlin abgeführt, weil ich einen Moment nicht schnell genug gewesen bin und auch nicht sein wollte, da nach Aussagen der Westberliner Polizei ja allenfalls eine zweiwöchige „Befragungshaft“ drohte.

Hätte ich zu diesem Zeitpunkt geahnt, dass mich statt zwei Wochen „Befragungsgewahrsam“ eine teilweise recht gewaltsame Überführung und zwanzig Monate Haft erwarten, ich hätte die Maschinenpistolen sicher ernstgenommen. WOLFRAM HASCH, Berlin