Schüsse in Schwarzweiß
Die Ex-RAFlerin Eva Haule fotografierte Theaterproben in ihrem Neuköllner Knast – als Abschlussarbeit ihrer Fotoausbildung. Die Bilder von ihren Mitgefangenen beim Textlernen sind jetzt in einem Galerie-Keller ausgestellt
Tief in Neukölln hat am Samstag K&K VolkArt eröffnet, ein Zwitterwesen aus Puppentheater und Galerie. In dem großen Schaufensterraum beglückt tagsüber eine Kasperlebühne Kinder, abends sind dann die Erwachsenen dran. Durch eine im Boden eingelassene Luke gelangt man in den Keller, der als Ausstellungsraum dient. Eingeweiht wird er von Eva Haule, früher RAF-Mitglied, seit 21 Jahren Inhaftierte, seit drei Jahren Fotografin.
Der Raum ist niedrig und vor allem dunkel. Eine Taschenlampe strahlt vom Boden aus eine Diskokugel an. Dadurch entsteht so etwas wie ein Sternenhimmel an der Decke, auf dem Boden. Jeder Besucher bekommt ein buntes Knicklicht oder eine winzige Punkt-Taschenlampe ausgehändigt. Damit lässt sich vage das Bild erleuchten, vor dem man gerade steht – mehr nicht.
Eva Haule war drei Jahre lang in Einzelhaft in Köln und Stammheim, 1989 wurde sie nach Frankfurt verlegt. Dort besuchte sie Fotokurse, um mit der eigenen Produktivität der Routine des Knastalltages etwas entgegenzusetzen, um sich durch die Kunst wenigstens eine „innere Freiheit und Lebendigkeit im Gefängnis zu bewahren“. In Frankfurt porträtierte Haule Mitgefangene, oftmals nackt, die Narben sichtbar, die Tattoos, die Piercings. 2004 wurde sie nach Berlin-Neukölln verlegt, wo sie im offenen Vollzug eine Ausbildung an einer Fotoschule begann. 2005 stellte sie ihre Porträts gefangener Frauen im Berliner Abgeordnetenhaus aus und veröffentlichte sie als Bildband im AG Spak-Verlag.
Während Eva Haule fotografierte, spielte die Gruppe K&K VolkArt unter der Leitung von Artur Albrecht und Henriette Huppmann mit manchen ihrer Mit-Inhaftierten Theater. Haule begleitete mit ihrer Kamera im Herbst 2006 drei Monate lang die Proben für die Produktion „Solaris“ – als Abschlussarbeit an der Fotoschule. In der Kellerausstellung steht jetzt ein alter Holzschrank mit vielen kleinen Fächern: Miniaturzellen, in denen die Bilder der Eingesperrten stecken. Textauszüge aus dem Theaterstück ergänzen die Fotostrecke: „Wer hat das getan, wer hat das aus uns gemacht? Das waren Verbrecher!“ Videomitschnitte der Aufführung werden neben größeren Bildern von den Frauen bei der Theaterarbeit an eine Wand gebeamt.
Wer im Gefängnis sitzt, wird für die Außenwelt unsichtbar. So sind auch die Bilder von den Gefangenen nur schwer zu erkennen, verstecken sich im Keller, im Dunkeln, zeigen sich nur, wenn man dicht vor ihnen steht mit einer dieser winzigen Lichtquellen. Die Frauen wirken ernst, versunken in die Probenarbeit. Sie lernen Text mit Piercings in Lippen, Nase, Brauen, Tätowierungen am Hals, im Gesicht und legen in lasziver Erschöpfung ihren Kopf auf den Arm.
Ein Knabenmädchen blickt mit dem arroganten Sexappeal, den man von Mannequins kennt, in die Kamera. Hochglanzfotos sind das, die attraktive, fleißige Frauen zeigen, oft in sich gekehrt – funkelndes Metall im Gesicht, wasserstoffblond neben blauschwarz. So werden Gefangene nicht oft gezeigt. Das ist das Großartige an Eva Haules Bildern, dass sie keine „Unterschichtlerinnen“, keine drogensüchtigen, gewalttätigen, kaputten Menschen zeigen, sondern schöne, selbstbewusste und eigenwillige Wesen, denen man den Knast nicht ansieht. Sie holt die Weggeschlossenen, Ausgeschlossenen wieder zurück in die Sichtbarkeit, die Spuren der Haft verwischt sie. Wie auch schon bei ihren Gefangenen-Porträts aus dem Jahr 2005 lässt Eva Haule den Ort verschwinden, an dem ihre Bilder entstehen. Auf den Fotos sind die Gezeigten bereits frei.
Eva Haule wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Im Juni findet eine Anhörung statt, bei der darüber entschieden wird, ob sie doch noch zu Lebzeiten, frühestens schon im August, entlassen wird. Momentan verliert sie erst einmal an Freiheit, da die Boulevardpresse vor dem Knast und vor der Fotoschule auf sie wartet, um sich an ihre Fersen zu heften, sobald sie erscheint. Justizvollzugsbedienstete und private Leibwächter geben sich die Klinke in die Hand. Nur Eva Haules Bilder sind schon mal vorgegangen in die Freiheit. CORNELIA GELLRICH
Voraussichtl. bis Ende März bei K&K VolkArt, Böhmische Str.46, Neukölln; Besichtigung nach Vereinbarung: (01 79)3 20 00 58