Lang lebe das Leben

In der Popmusik geht es gewöhnlich ja eher hektisch zu. Die Zukunft beginnt heute, und jung zu sterben gilt immer noch als sicherster Weg, nicht alt zu werden. Das hat sich in den vergangenen Jahren zwar verändert, man kann beruhigt ergrauen im Geschäft mit der populären Musik, aber die, die noch am Leben sind, singen eher selten Hymnen auf den Rentenbescheid. Da muss dann schon die erst 1980 geborene Gemma Ray kommen: „Long Live This Life“ heißt der ausgesucht hübsche Song von ihrem neuen Album „Milk For Your Motors“, in dem sie empfiehlt, erst gar nicht zu viel zu erwarten vom Leben. Gemütlich schlürft da der Rhythmus und die in Berlin lebende Sängerin warnt ausdrücklich davor, sich allzu viel vorzunehmen, damit die alten Knochen noch länger halten. Im nächsten Song folgt dann die Empfehlung, sich anzuschnallen: „Buckle Up“.

Oje, so entspannt bleibt es nicht, aber man muss schon sagen: Dermaßen viel Entschleunigung war selten. Die Americana-Stimmung, die die englische Wahlberlinerin systematisch heraufbeschwört, weht heran wie ein laues Lüftchen aus der Wüste. Die Gitarren wehklagen verzerrt und ihre Stimme schwebt träge wie ein Schmetterling im Spätsommer. Selbst für eine Fahrt auf dem „Motorbike“ steigt zwar formal das Tempo, aber so zurückgelehnt hat sich selten jemand mit einem Motorrad in den Verkehr gestürzt. In der Folge klingen die Songs nicht einfach so, als versuchten sie mit hübschen Melodien in Erinnerung zu bleiben, sondern wie mondäne Luxusgegenstände, die man zwar nicht dringend braucht, aber auch nicht missen möchte. Wenn man so will, ein Coffeetable-Buch zum Hören.

Wie völlig anders der Ansatz von Taama. Da bollert das Schlagzeug immer schön kräftig auf die Eins, die Gitarren knarzen ungeduldig und die Synthies hüpfen leicht hysterisch. Statt vom Loslassenkönnen dichtet Taama deutsch davon, wie durcheinander sie ist, dass sie tanzend das Weite sucht oder heute Nacht über Scherben laufen will. Selbst, wenn es ruhiger wird, dann kommt die sogenannte Power-Ballade zum Einsatz, die einen in Sicherheit wiegt, um umso monströser loszubrettern. Nicht, dass Tamara Unterhuber das nicht singen könnte, von ihrer ehemaligen Band, die Von Luft Und Liebe hieß, hat sie eine angemessen röhrige Rockstimme mitgebracht. Mit im Paket war aber offensichtlich auch ein pathologischer Hang zu textlichen und musikalischen Klischees.

THOMAS WINKLER

■  Gemma Ray: „Milk For Your Motors“ (Bronze Rat/Soulfood) ■  Taama: „Auf alles was bleibt“ (Ida/Soulfood)