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Archiv-Artikel

Erfinder ohne Autorität

GENIE Solomon Vogman war stets darum bemüht, Bedeutendes zu entwickeln. Nun könnte es endlich so weit sein

Die Genossen wollten ihn loswerden: Am Institut hatte er die Diskussion gesucht

VON THOMAS FEIX

Nicht noch einmal ein Überfall. Zu dem Zweck hatte sich Solomon etwas ausgedacht. Etwas, das in Größe und Aufbau einem Benzinfeuerzeug gleicht. Den Docht angezündet, der im Tank in Festbrennstoff mündet, und oben aus dem Apparat bricht ein Flammenstrahl hervor.

„Bumerang“ hatte Solomon die Erfindung genannt. Der Name weist auf die elliptische Figur hin, mit der der Angegriffene die Flamme, die bis zu zwei Meter weit reicht, nach vorn zu dirigieren hat. Niemand sonst, sagt Solomon, hat so wie er ein Gerät in Brusttaschenformat konstruiert, das sekundenlang eine gebündelte Stoßflamme von dreitausend Grad Celsius erzeugt. Solomon Davidowitsch Vogman, 1940 in Leningrad geboren. Seit 1997 lebt er in Berlin.

Das Haar fällt ihm ungeordnet in die Stirn, die Brille sitzt ihm nicht immer ganz korrekt, auch kaum, dass er das Hemd einmal richtig geknöpft hätte, aber stets Anzugweste dazu an. Bei dem Überfall vor dreißig Jahren am Leningrader Gribojedowkanal hatten sie ihn ausgeraubt und schwer zusammengeschlagen. Die Idee mit den Flammenstößen als Mittel zur Abwehr war ihm sofort gekommen. Nächte hindurch hatte er so lange am Entwurf gearbeitet, bis dass die Idee umgesetzt war.

Solomon hat „Bumerang“ gebraucht, da war die Sowjetunion schon zu Russland, Leningrad zu Sankt Petersburg geworden. Mitten am Tag hat ihn ein Mann auf der Straße angehalten, hat sich als städtischer Angestellter ausgegeben und das Aushändigen des Passes von ihm verlangt. Solomon wich zurück, zog „Bumerang“ dabei aus dem Jackett und hielt den Docht an die Glut seiner Zigarette. Der Lichtblitz, das Fauchen, der Qualm, der Gestank und die Hitze. Mit versengten Haaren und rauchenden Kleidern sprang der Mann in die Newa hinter sich.

„Bumerang“ vorzeigen kann Solomon nicht. Der Übersiedelung nach Deutschland wegen hat er ihn in Sankt Petersburg gelassen. Zum Brennstoff will er nur so viel sagen, dass er neben Raketenfeststoff eine Reihe von Zutaten enthält, über die er schweigen möchte, und zum Griffstück, dass es mit einer feuerfesten Schnur umwickelt ist. Sie zählt ebenfalls zu seinen Erfindungen.

Ein Zimmer, Küche und Bad sind Solomons Wohnung, die Fenster gehen alle zum Hinterhof und zu hohen Mauern hinaus. Fast nur Schatten den Tag über, aber Solomon stört das nicht. Die Straße vor dem Haus führt durch eine Gegend des Prenzlauer Bergs, in der viele Studenten wohnen. Genau richtig für Solomon.

Nach Laboratorium sieht die Wohnung aus. Notizzettel auf dem Tisch, Aktenordner und Stapel von losen Blättern in Regalen. Schraubgläser, farbige Essenzen darin, Pflanzenproben auf Borden. Das Bett hinter dem Vorhang scheint das einzige an Privatsphäre zu sein.

Zu Sergej Koroljow in die Forschungsanstalt war Solomon einmal 1963 geholt worden, zum sowjetischen Raketenbauer. Es gab dort ein Problem mit dem Feststoffantrieb für die erste Interkontinentalrakete, als Träger eines Atomsprengkopfs war sie vorgesehen. Keiner von Koroljows Leuten hatte ein Wort und deshalb auch keine Lösung für das Problem. Alles viel zu geheim. Aber Solomon hatte das Potenzial. Er ahnte, dass der Schlüssel in den Steuertriebwerken der Rakete zu finden wäre, und so war es dann auch.

Gerade hatte er an der Chemischen Fakultät der Leningrader Universität die Ausbildung zum Ingenieur für Raketenfeststoffe beendet. Sechs Jahre zuvor hatte er als Kursant der Leningrader Militärakademie ein Raketentriebwerk erfunden, Erfinder mit siebzehn, Solomon, das Einzelkind.

Die Mutter war Lektorin, der Vater Geologe, im Krieg hatte er als Artillerieoffizier gedient. Von Berlin aus kehrte er 1946 nach Leningrad zu Ehefrau und Sohn zurück, die der Blockade durch Flucht in den Ural entkommen waren. Als Geologe und Armeeoffizier ist er nun zur Urangewinnung abkommandiert worden. Bis zum Oberst wäre er beinahe aufgestiegen. Dass der Vater Vorbild für ihn war, sagt Solomon.

Die Mutter ebenso sehr. An Bücher hatte sie ihn herangeführt, an die russischen Klassiker vor allem. Geschrieben hat er über den Roman „Die Junge Garde“ von Alexander Fadejew. Ein Werk voll mit Heldentaten von Komsomolzen im Großen Vaterländischen Krieg. Der Aufsatz darüber beförderte Solomon unter die fünf Besten, und die Schulleitung legte ihm ein Literaturstudium nahe. Entschieden hat er sich für die Militärakademie, für den Kurs Raketenantriebstechnik. Das Beispiel des Vaters war das, der Offiziersrang, die Artillerie, das Uran für Bomben. Das Prinzip von Explosivstoffen zu erforschen, sah Solomon als seine Bestimmung an.

Er hält Chemiepatente, dreizehn insgesamt. Um eine Faser aus Kunstkautschuk drehen sie sich alle. Kunstkautschuk ist Bestandteil von Raketenfeststoff. Den Kautschuk mit einem Hartmacher aus Aceton und Luminophor versetzt, zehn Stunden lang bei Zimmertemperatur ausgehärtet, und ein Polyurethan war daraus entstanden, die Substanz für Solomons Faser.

Aber am Chemieinstitut hatte er die Diskussion gesucht, hat Solschenizyn gelesen und Schriften von Andrej Sacharow und hat einiges zu beiden zu sagen gehabt. Das war das Erbe der Mutter. Die Lektüre und sein Reden, sagt Solomon, waren der Grund dafür, weshalb ihn die Genossen hatten loswerden wollen. Unter Ernennung zum Hauptmann der Reserve haben sie ihn 1968 in den Ruhestand abgeschoben. Er war noch nicht dreißig Jahre alt, und wie der Vater war er jetzt Offizier. Er kam gleich in einer Schuhfabrik unter.

„Skorochod“, Schnellgang, hieß sie. Dort war er für die Gummisohlen von Hausschuhen zuständig. Er war da nur kurz. Mit der Unruhe, die von ihm ausging, konnten sie nichts anfangen und reichten ihn an eine Firma für Damenunterwäsche weiter. In der hatte er die Aufsicht über die Bündchen von Korsetts und Büstenhaltern.

Nebenher ermittelte er die verschleiß- und feuerfesten Eigenschaften seiner Faser und dass sie, zur Kordel geflochten, tausend Atmosphären Druck aushält. Er hat der Raumfahrt angeboten, Raumanzüge aus der Faser zu entwerfen, und 1985 war er bei den Truppen in Afghanistan. Die „Kommission zur Optimierung der Kriegsführung“ hatte ihm den Auftrag über eine Version von „Bumerang“ für den Infanterienahkampf erteilt.

Solomon nahm eine Dreißig-Millimeter-Geschosskartusche. Machte eine Fünf-Meter-Stoßflamme von zwanzig Sekunden Dauer. Zusätzlich zum Prototypen hatte Solomon das Muster eines Schutzanzuges für Panzerbesatzungen auf dem Stützpunkt von Kandahar mit dabei. Ein Overall, den er sich ursprünglich als Raumanzug gedacht hatte. Für eine halbe Minute sollte er jetzt der Temperatur von brennendem Diesel widerstehen. Im T-72-Panzer, den Schutzanzug an, fuhr Solomon in einen Flammentunnel hinein. Militär-„Bumerang“ und Anzug fielen durch. Die Befehlshaber vor Ort befürchteten, dass sich die Soldaten, die häufig betrunken waren, gegenseitig mit der neuen Waffe beschießen würden. Für die Fahrt im Tunnel bekam Solomon die eiserne Tapferkeitsmedaille verliehen. Trotz Haube, Schutzbrille und Handschuhen hatte er sich im Gesicht, an Unterarmen und Händen verbrannt.

Den zivilen und militärischen „Bumerang“, die Kunstkautschukfaser und aus ihr die Kordel und das Gewebe für den Schutzanzug hatte sich Solomon aus dem Prinzip von Explosivstoffen heraus abgeleitet. Nichts davon aber, sagt er, bedeutet ihm etwas im Vergleich zu seinem Braunkohledünger. Den auszubringen wäre für die Menschheit wie für ihn ein großer Schritt. Den ersten Versuch mit Dünger aus Braunkohle hatte Solomon vor zwanzig Jahren in Sankt Petersburg gemacht. Hatte sich ein Stück Kohle in destilliertem Wasser aufgelöst und den Extrakt daraus um eine Tomatenstaude herum gegeben. Nach zwei Wochen war sie dreimal so hoch gewachsen wie die anderen. An Kartoffelpflanzen probierte er dasselbe aus. Auch sie wuchsen mit dem Dünger größer heran als üblicherweise, sagt er.

Aus dem Extrakt hat er sich nun ein Granulat gepresst, zu hundert Prozent ein Huminsäurekonzentrat. Ein Kilogramm davon hätte denselben Wert wie eine Tonne herkömmlichen Düngers. Granulat, Sand und außerdem spezielle Teilchen, wie sie die Nanotechnologie hervorbringt, könnten in bestimmtem Verhältnis zueinander zu Schwarzerde vermischt werden. Material, das überall auf der Welt für den Anbau jeder Art von Pflanze tauglich wäre. Den Sand für die Mischung würden die Wüsten Afrikas, Asiens und Südamerikas liefern. Solomon spricht davon, dass die Deutschen während des Krieges dreihunderttausend Tonnen an Schwarzerde aus der Ukraine und Bessarabien weggebracht haben. Sein Plan dazu ist es, mit dem Verfahren den Gebieten dort mindestens dieselbe Menge an Ackerboden wiederzuverschaffen. Im Augenblick betrachtet er das als sein letztes Vorhaben.