Die Schattenherrscherin ohne Amt

Eine Medienkampagne zwang Gerd-Liv Valla, Norwegens Gewerkschaftschefin, zum Rücktritt. Ihr Einsatz für Frauen und Förderung von Niedriglohngruppen passte der Industriefraktion nicht FOTO: AP

Ich bin kein Schmusekätzchen“, sagt Gerd-Liv Valla über sich selbst. Diese Frau sei Norwegens mächtigste, sagten andere über sie. Und spätestens, als sie im Herbst 2006 die Pläne der Regierung zur Verschlechterung der Krankengeldregelung mit einer Streikdrohung stoppte, warf die Opposition Ministerpräsident Jens Stoltenberg vor, nicht er führe das Land, sondern die Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes LO. Zu viele empfanden die erste Frau in dieser Position offenbar als Bedrohung der eigenen Machtstellung. Als sie vorigen Freitag vorzeitig zum Abgang gezwungen wurde, war auch das eine Premiere in der 108-jährigen LO-Geschichte.

Profitieren nun vor allem Männer davon, die 59-Jährige los zu sein, stolperte die bekennende Feministin Valla ausgerechnet über eine Frau. Ingunn Yssen, Sekretärin für internationale Beziehungen des LO, die sich ebenfalls Feministin nennt, kündigte vor zwei Monaten und richtete dabei heftige Anklagen gegen ihre Exchefin: Diese habe sie jahrelang gemobbt und schikaniert. Statt die Geschichte der Justiz zu überlassen, fühlte Valla sich persönlich gekränkt, schlug alle guten Ratschläge aus und dafür mit Anklagen zurück. Wochenlang wurde von beiden Seiten eifrig schmutzige Wäsche gewaschen. Als die LO-Chefin sich dann doch zu einer Entschuldigung durchrang, war es zu spät. Ihre GegnerInnen, die es der Frau mit der Kometenkarriere endlich heimzahlen wollten, sahen ihre Stunde gekommen. LO fiel der eigenen Vorsitzenden mit einer Untersuchungskommission in den Rücken, und nachdem auch in deren Bericht von Mobbing die Rede war, wurde Valla unhaltbar.

Die Frau mit der Lieblingsfarbe Rot begann ihre politische Laufbahn als Soziologiestudentin in einer kommunistischen Studentengruppe und wurde 1974 erste weibliche Vorsitzende der „Norsk Studentunion“. Das Etikett „Stalinistin“ klebt bis in die Gegenwart an ihr, obwohl sie sich schon in den 80er-Jahren von dieser Vergangenheit distanzierte und der sozialdemokratischen Arbeiterpartei beitrat. 1990 machte Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland die Pädagogik-Lektorin zu ihrer politischen Beraterin. 1997 wurde Valla, geschieden und Mutter einer Tochter, dann Nachfolgerin der Krimiautorin Anne Holt im Amt der Justizministerin. Noch als Ministerin wurde sie zur stellvertretenden und 2001 dann zur LO-Vorsitzenden gewählt. Valla gilt als eigentliche Architektin des sozialdemokratischen Wahlerfolgs von 2005 und der rot-rot-grünen Koalition, die jetzt Norwegen regiert. Von der wachsenden Stärkung ihrer Position in der Partei sah sich zuletzt offenbar auch Ministerpräsident Stoltenberg bedroht. REINHARD WOLFF